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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Kunst einnahm: als Derjenige, der sie von den schweren Mängeln der Cornelianischen Schule durch ein gründlicheres Studium der Natur und der Technik befreien sollte. Er machte nicht nur das Actmodell in der Akademie von fünf bis sieben Uhr regelmäßig mit, sondern zeichnete dann gewöhnlich noch zwei Stunden in einem Privatactsaal und componirte hierauf, um zehn Uhr zurückkehrend, oft noch bis spät in die Nacht in seinem Zimmer. Mit der leidenschaftlichen Gluth des Naturells, der Neigung zum theatralischen Pathos, wie sie den Italiener kennzeichnet, den Ernst, die eiserne Beharrlichkeit des Deutschen vereinigend, phantasievoll und scharf beobachtend zugleich, ehrgeizig und hochstrebend, allem Gemeinen abgeneigt, durchaus sittlich, aber auch eifersüchtig wie ein Italiener, war und blieb er von solch explosiver Heftigkeit in Allem, daß ihn seine Freunde immer mit einem offenen Pulverfaß verglichen. Da er von frühester Jugend blos künstlerische Eindrücke erhalten, ward ihm die Kunst bald das einzige Lebensinteresse, nie haben irgendwelche andere geistige Interessen ihn dauernd zu fesseln vermocht.

Er erregte schon die größten Erwartungen, war bereits zu Schnorr in die Componirclasse gekommen und hatte da einen barmherzigen Samariter in der pathetischen Art des Meisters hart und trocken componirt, zu Hause aber einen Cola di Rienzi frei und malerisch zu behandeln versucht, hatte daneben das große jüngste Gericht nach Rubens copirt – als der Vater starb, der ihn mehr als alle Lehrer gefördert, ihm allein die Liebe und das Verständniß für die von der Cornelianischen Schule ganz verpönten alten Coloristen erschlossen hatte. Derselbe hinterließ die Familie ziemlich mittellos.

Acht Tage darauf saß der sechszehnjährige, trotz der glänzendsten Aussichten mit fraglosem Pflichtgefühl jetzt tapfer seinen Idealen entsagende Jüngling bereits an der Steinplatte des Vaters und vollendete dieselbe, um so die Existenz der Familie zu ermöglichen, indem er die Leitung des ganzen großen lithographischen Geschäftes auf sich nahm. Er führte sie sechs ewig lange Jahre mit der größten Gewissenhaftigkeit fort, bis sich durch den Ertrag des Unternehmens die Verhältnisse hinreichend gebessert hatten. Nur in den Nebenstunden, früh und in später Nacht, wenn Andere schliefen oder in der Kneipe saßen, konnte er sich damit befassen, seine innere Welt in Entwürfen und Studien zu gestalten.

Bald nach dem Tode des Vaters kam der ihm schon von früher her befreundete Carl Schorn aus Paris, wo er die Principien der Cornelianischen Schule mit denen der modernen Franzosen vertauscht, in’s Piloty’sche Haus und verlobte sich mit der schönen Schwester des jungen Malers. Kurz darauf durch sein Gemälde: „Die Wiedertäufer“ großes Aufsehen erregend und an der Akademie als Lehrer der Malclasse angestellt, ward er von jetzt an auch der Freund und Lehrer seines jugendlich strebenden Schwagers, der unter seiner Einwirkung sich rasch einer viel glänzenderen Maltechnik bemeisterte, als sie bis dahin in München üblich gewesen.

Die Unruhen des Jahres 1848, die in München schon früher begannen, regten auch Piloty zu jugendlicher Begeisterung auf, ohne daß er doch je ein tieferes Interesse an der Politik genommen. Er blieb eine auf sich selbst gestellte Natur. Dem Lärmen wie den Lustbarkeiten ohnehin abgeneigt, hielt er sich kalt selbst gegen die Frauen, mehr aus Furcht vor der eigenen Leidenschaft als aus Gleichgültigkeit, so daß er z. B. nie einen Ball besuchte.

Endlich konnte er sich, wie bemerkt, von der Verpflichtung zur Lithographie losmachen und sich seiner geliebten Malerei wieder mit ganzer Seele widmen. Es entstand jetzt sein erstes werthvolleres Bild, „Badende Mädchen“, im Riedel’schen Geschmack; ein Sonnenlichteffect in dem Atelier, das er in der Akademie bezogen, hatte Veranlassung zu dem Bilde gegeben. Es lag etwas von der Wonne über die wiedererlangte Freiheit darinnen; mich, der ich es alsbald darauf sah, entzückte die geistreiche Feinheit und Grazie der Behandlung, die Lichtfülle und der Glanz, das malerische Talent, die aus diesem Erstlingswerke hervorleuchteten.

Die Stoffwahl Piloty’s sollte bald eine andre werden. Die mit Schorn sehr glücklich verheirathete Schwester ward im ersten Wochenbett schwer krank; schon aufgegeben, läßt sie sich, zum Tode erschöpft, in Gegenwart des Bruders das Kind von der Mutter bringen, um von ihm Abschied zu nehmen, während das Sonnenlicht bei der ergreifenden Scene durch einen grünen Fenstervorhang herein auf Häubchen und Hemdchen fällt, die sie in froher Erwartung des Ankömmlings für ihn gestickt und genäht. Dieser Moment, der ihn – bei Erwartung des Verlustes der geliebten Schwester – so heftig ergriffen, drängte ihn zur Schöpfung seines zweiten, bereits Aufsehen erregenden Bildes, „Die Wöchnerin“, auf dem er mit rührender Treue das eben Erlebte wiedergiebt.

Zum Glück bleibt ihm die Schwester erhalten. Ein halbjähriger Aufenthalt in Leipzig, meist mit Portraitmalen zugebracht, folgt und führt zu einem Besuche in Dresden, wo Piloty acht Tage lang nicht aus der Gallerie kommt und Velasquez sein Ideal wird. Dann kehrt er zurück, um seinen Schwager und Freund Schorn langsam sterben zu sehen. Allein unter allen Familiengliedern wissend, daß der Kranke verloren, hilft er ihm noch ein Halbjahr lang an seinem kolossalen Bilde der Sündfluth. In dieser traurigen Zeit erzählte ihm seine Schwester eines Tages, daß ihre Amme, ein sehr hübsches Mädchen, ganz verstört, bald wahnsinnig nach Hause gekommen, weil sie, ihr eigenes Kind mit dem an seine Stelle getretenen besuchend, dasselbe bei der Ziehfrau, einer sogenannten „Engelmacherin“, sterbend getroffen. Unter dem erschütternden Eindrucke dieser Vorstellung entsteht sein drittes Bild, die berühmte „Amme“. Aber wie verschieden in seiner ganzen tiefernsten Art, in dem schwärzlich gedämpften Colorit ist es bereits von dem sonnigen Farbenjubel jenes Erstlingswerkes! Die düstere Stimmung desselben würde uns allein schon sagen, daß hier etwas unendlich Trostloses geschildert werde. Auch ist der Maler bereits ganz selbstständig. Außer der entfernten Anlehnung an die Spanier, ist hier keinerlei Einwirkung anderer Kunstwerke sichtbar; vielmehr ist diese Vereinigung strenger, edler, fast stilvoller Form mit der höchsten Wahrheit des Details durchaus originell. – Daß ihm aber jedes Erlebniß, Alles, was ihn rührt oder ergreift, sofort zum Bilde wird, das beweist wohl am besten seinen echten Künstlerberuf.

So hatte ihn nächst Shakespeare immer Schiller am meisten beschäftigt, der „Dreißigjährige Krieg“ und besonders die Wallenstein-Trilogie ihn bereits zu mancherlei Entwürfen begeistert.

Jetzt bot sich ihm die Gelegenheit, eine der Ursachen jenes entsetzlichen Kampfes im größten Maßstabe zu schildern, als König Max „die Stiftung der Liga“ für das Maximilianeum bei ihm bestellen ließ. Niemand, der heute dieses gewaltige Gemälde sieht, würde wohl glauben, daß das eines noch jungen Künstlers Erstlingsversuch in lebensgroßen Figuren sei. An sicherer Beherrschung der künstlerischen Mittel, in Zeichnung und besonders Colorit geht es weit über Alles hinaus, was bis dahin die Münchener Schule in dieser Art geleistet, und bezeichnet einen mächtigen Fortschritt. Die Jugend des Malers spricht sich aber auch darin aus, daß er eben die Welt nur von den Brettern kennt, die sie bedeuten. Seine schwörenden Fürsten benehmen sich so pathetisch, wie sie es in der Wirklichkeit gewiß nie gethan hätten, es wäre denn, daß sie einander hätten anlügen wollen.

Diesen Standpunkt, den er hier einnimmt, hat Piloty niemals völlig zu verlassen vermocht, obwohl er es mit voller Bestimmtheit anstrebte, ja es ihm im Einzelnen vielfach gelang. Es ward mir das alsbald klar, als ich 1854, aus Italien nach München übersiedelnd, den Künstler endlich persönlich kennen lernte, dessen „Amme“ mich schon in Venedig entzückt, wo sie unter der bunten, koketten italienischen Hetärenmalerei mit ihrer ergreifenden Wahrheit so erquicklich selbst auf die Italiener gewirkt hatte, wie ein Trunk klares Quellwasser nach allen möglichen Arten Fusels.

Ich fand mich vor einem hochgewachsenen, raschen und elastischen, eher hageren jungen Manne, dessen stark ausgearbeitete Züge und nervöses Wesen die Spuren anhaltender Anstrengung, wie rastloser Leidenschaft, ja dämonischer Willenskraft zeigten und durchaus bedeutend erschienen. Das Gesicht wäre gewöhnlich ohne das durchdringende flackernde Auge und jene eigenthümlich hochgeschwungenen Augenbrauen, wie man sie an vielen Coloristen alter und neuer Zeit, an Correggio, Rubens, Delacroix wahrnimmt. Der unruhig gleitende Blick, die hastigen Bewegungen, die selbst unbedeutende Dinge mit plötzlich herausbrechender Leidenschaftlichkeit übermäßig pathetisch accentuirende Redeweise bewiesen, daß die italienische Abstammung mit ihrem grenzenlosen Ehrgeiz, der verhaltenen Gluth immer noch in ihm wirksam war. Sie hätten einen geradezu unheimlichen Eindruck gemacht ohne den idealen Zug, der das ganze Wesen adelt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_650.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)