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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Und dann schritt ich wieder durch den Thiergarten, entgegen dem geräuschvollen Treiben der Großstadt. Männer und Frauen wandelten, sich ergehend, an mir vorüber, lachende Kinder spielten unter den Standbildern Goethe’s und der Königin Luise. Ich sah Alles und sah es nicht. Meine Gedanken hingen an der Frage, ob nun der Besuch in der Hohenzollernstraße ein Gewinn gewesen oder ein Verlust.

„Ein Gewinn!“ ich sage es, ohne dem Dichter zu schmeicheln. Wie ich mir ihn gedacht hatte, so war er in seinem Arbeitszimmer vor mir gesessen. Blind gegen die Mängel seines Schaffens bin ich nie gewesen, außer in jenen jungen Jahren, wo das Urtheil noch vor jedem Gemüthsaffecte Reißaus nimmt. Aber was mir zur rechten Würdigung gefehlt hatte, war die Beobachtung des Verhältnisses zwischen ihm und dem Boden, aus dem er pflügt. Ueber die allgemeinen Züge seiner Lebensentwickelung (vergl. „Gartenlaube“ 1877, Nr. 14) war ich ja vorher unterrichtet gewesen, ich wußte, was die literarischen Compendien wußten. Daß er als der Sohn eines Magdeburger Regierungsrathes unter glücklichen Bedingungen und seit seinem sechsten Jahre auch in landschaftlich reizvoller Umgebung, nämlich in Stralsund, aufwuchs. Daß das Meer in seine Jugend hineinglänzte, wie er später selbst in einem wunderschönen Vortrage über Homer erzählt hat und wie es im Uebrigen auch aus den meisten seiner Romane zu entnehmen ist, durch welche es bald laut und bald leise tönt, wie der ewige Ruf der Sehnsucht: „Thalatta! Thalatta!“ Daß er in Berlin, Bonn, Greifswald (dem Grünwald seiner Romane) zuerst die Rechte, dann Philologie und Philosophie studirt, sich zu einer Docenten-Carriere vorbereitet hatte und eine Weile Gymnasial-Lehrer – siehe Oswald Stein’s Misere am Grünwalder Gymnasium – gewesen war, um schließlich als dreißigjähriger Mann mit Einem Schlage ein berühmter Schriftsteller zu werden. Aber dieses Wissen war unzulänglich, lückenhaft. Genius loci, der Geist, der zum Menschen aus seiner nächsten Umgebung spricht, der war mir entgangen, und gerade von diesem Geiste Spielhagen’s muß Kenntniß haben, wer den Epiker der letzten Epoche deutscher Geschichte genau verstehen will.

Nun wandelte ich durch den Berliner Thiergarten. Unweit lag das Haus, in welchem Fürst Bismarck wähnt, unweit auch dasjenige, in dem das deutsche Parlament tagt. Das Siegesdenkmal glänzte auf mich nieder, und Moltke’s Haus, der Sitz des Generalstabes, lugte aus den Bäumen hervor. Wenige Stunden vorher hatte ich einer stürmischen Redeschlacht um die Maigesetze im preußischen Abgeordnetenhause beigewohnt. Das waren mir lebendige Zeugnisse der Geschichtswendung, welche Deutschland seit zwanzig Jahren erlebt hat, von ihrem Dichter in der Hohenzollernstraße hatte ich mich just verabschiedet. Ein leichter Windstoß bewegte die Aeste. Die Blätter rauschten, als wollten sie erzählen von den Sorgen und Freuden, welche sie in großer Zeit beobachtet an den Wanderern, die ihren Schatten aufgesucht. Aber der Windstoß wiederholte sich nicht, und die Blätter verstummten wieder. In der Nachbarschaft wohnt Einer, der besser als sie zu erzählen vermag von dem Leid und der Lust seines Vaterlandes.




In der königlichen Münze zu Berlin.

Wer in Berlin vom Brandenburger Thore aus auf das weithin sichtbare königliche Palais zuwandert und, vor der Schloßbrücke rechts abbiegend, an dem verhältnißmäßig menschenleeren Spree-Ufer entlang geht, wird einen prächtigen Ziegelrohbau bemerken, dessen ernste Facade durch einen breiten Reliefgurt geschmückt wird. Lebensvoll treten aus dem großen Sandsteinbande plastische Gestalten hervor, zu anmuthigen Gruppen an einander gereiht, stellen sie Arbeiter dar, welche Metalle zu Münzen schlagen. In der stummen Sprache bildender Kunst verkündet Meister Schadow, daß hinter diesen Mauern das eigentliche Herz wirthschaftlichen Lebens schlägt, von dem blinkendes, klingendes Geld in die Adern des Verkehrs strömt und zu dem es glanzlos, stumpf, abgegriffen zurückfließt, um in neuem Gewande den allen Weg zu wandern. Wen hat nicht schon der Wunsch beschlichen, einen Blick an diese geheimnisvollen Räume zu werfen und ihre Schätze zu betrachten! Aber der Eingang ist gewissenhaft bewacht, zwar nicht von einem Cerberus, sondern von dem freundlichen Portier. So ein Portier in seiner dem Eingang beherrschenden Loge gleicht dem Leonidas in den Thermopylen, hundertfache Uebermacht schlägt er leicht zurück.

Da es nun bei dem erschwerten Zugange so schwierig ist, mit leiblichen Augen Umschau zu halten in dieser interessanten Werkstätte des Mammons, so laden wir Jedweden hiermit ein, im Geiste mit uns eine Wanderung durch die königliche Münze anzutreten.

Die eichene Thür thut sich schwerfällig auf. Auf unsere Frage nach dem Director werden wir vom Portier die breite, mit Teppichen belegte Treppe hinaufgewiesen, worauf ein anderer freundlicher Geist uns in das Zimmer des ersten Beamten geleitet. Nachdem wir uns vorgestellt und gehörig legitimirt haben, schreibt Herr Conrad in liebenswürdiger Weise einige Zeilen, die, obwohl sie in Prosa abgefaßt sind und nicht etwa eine schreckhafte Zauberformel enthalten, uns die Pforten der sonst so ungastlichen Räume öffnen werden. Mit diesem Erlaubnißschein begeben wir uns in das Münz-Comptoir und präsentiren ihn einem älteren Herrn. Wir haben einen Augenblick Muße, uns in dem großen Zimmer umzusehen, das von einem kaufmännischen Comptoir kaum zu unterscheiden ist.

An der gegenüberstehenden Wand, deren hohe Fenster einen Ausblick auf das Hintergebäude gestatten, arbeiten verschiedene Beamte eifrig an ihren Pulten. Zwischen der Thür und den Fenstern befindet sich ein langer Tisch mit Wagen, sowie großen und kleinen Gewichten. „Da fängt das Mysterium an,“ denken wir und legen uns die Frage nach dem Zwecke der mit peinlichster Sorgfalt neben einander ausgestellten Wäginstrumente vor. Aber schon werden wir in unseren Reflexionen angenehm durch einen jüngeren Beamten unterbrochen, der sich als Cicerone durch die Münze anbietet und mit uns das Zimmer verläßt. Von ihm erfahren wir, indem wir über einen Hof schreiten, daß das Münz-Comptoir sowohl das auswärtige Amt, wie das Ministerium des Innern repräsentirt und besagter Tisch ein Hauptorgan seiner Functionen bildet. Hier werden von der Reichsbank altes und fremdes Geld, Gold und Silber in Barren, sowie ausgediente Schmucksachen abgeliefert, sodann vom Münzwardein mit den feinsten Wagen gemessen und schließlich auf ihren Gehalt an Edelmetall untersucht, da bekanntlich fast alle Gold- und Silbersachen einen Kupferzusatz enthalten. Für jedes Pfund seines Gold z. B. erhält die Reichsbank 1392 Mark geprägtes Geld ausgezahlt. Die Münze schlägt aus einem Pfunde fein 1395 Mark, gewinnt also 3 Mark, und diese zur Deckung der Herstellungskosten bestimmte Differenz wird Schlag- oder Prägschatz genannt. Der Staat profitirt folglich Nichts bei dem Geschäfte. Anders in früheren Zeiten, wo Fürsten zuweilen geringwertiges Geld zu einem hohen Nennwerte ausgaben, um sich einen augenblicklichen Vorteil zu verschaffen.

In seiner Eigenschaft als Ministerium des Innern befördert das Münzcomptoir die wohl abgewogenen Metalle in die Münze, wo sie geschmolzen werden. Da die Edelmetalle verhältnißmäßig weich sind, giebt man ein Zehntel Kupfer zu, welches mit dem Golde oder Silber zusammengeschmolzen wird und der Legirung eine größere Härte verleiht.

Während der Unterhaltung sind wir in einen hohen Raum eingetreten, der eine frappante Aehnlichkeit mit einer Schmiede hat. An den Wänden stehen etwa ein Dutzend – sagen wir – Pulte. Denn der Durchschnitt der räthselhaften Gegenstände zeigt eine senkrecht auf dem Boden stehende Linie und eine in stumpfem Winkel von ihr ausgehende, welche in spitzem Winkel die Wand trifft. Der Deckel der Pultes hat eine kreisförmige Oeffnung, und wir hören erstaunt, daß wir Schmelzöfen vor uns haben. – In der ersten Halle ist es ziemlich still. Die Münze befindet sich in der todten Jahreszeit, richtiger in den todten Jahren. Statt der Hunderte von Arbeitern, welche sie vor einigen Sommern bei der Durchführung der Münzreform beschäftigte, sind nur noch 59 Mann in Thätigkeit, doch, wie wir jetzt um eine Ecke biegen, sehen wir aus einem der Oefen eine helle Flamme aufschlagen, und über der Oeffnung leuchtet uns der Kopf eines großen, glühenden Tiegels entgegen. Eben schüttet ein bärtiger Schmelzer Kohlen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_070.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)