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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


beseelt, voll Poesie in den Naturschilderungen, dann wieder grotesk, phantastisch, sogar raffiniert; zuletzt eine umfangreiche Tiroler Dorfgeschichte von tüchtiger, schlichter Haltung.

Sie selbst, verehrte Freundin, werden all allen diesen Werken Genuß haben: so aufgeschlossen ist Ihr Sinn, so vielseitig Ihre Bildung. Das große Lesepublicum hat die Wahl; denn die Muse unseres modernen Romans ruft ihm zu. „Wer vieles bringt, wird allen etwas bringen!“[1]




Der Regenwürmer Thun und Treiben.

Nach den Beobachtungen von Charles Darwin.

Wenn ein Redner die Nichtigkeit des irdischen Daseins mit seinem höchsten Pathos kennzeichnen will, so pflegt er den Menschen als Erdenwurm zu bezeichnen, das heißt ihn mit dem niedrigsten und elendesten Thiere seines Gesichtskreises auf eine Linie zu stellen Blind in der Erde wühlend, Staub fressend, und zwar „mit Luft“ - wie es, nebenbei bemerkt, des Mephistopheles Muhme, „die berühmte Schlange“ nicht thut – mag das verachtete Thier dem oberflächlichen Blicke wirklich als eines der erbärmlichsten Glieder in der großen Stufenleiter des Lebens erscheinen. Und doch ist der Regenwurm, wie Charles Darwin in seinem neuesten, vor wenigen Wochen erschienenen Buche[2] gezeigt hat, einer der unermüdlichsten Arbeiter bei der Umgestaltung des Erdballs, einer der erfolgreichsten Culturkämpfer, so weit es sich darum handelt, die Culturfähigkeit des Bodens zu befördern, und endlich noch einer der eindringlichsten Zeugen für die Macht des Kleinen im Weltall.

Schon vor einem halben Jahrhundert hatte der große britische Naturforscher dem Wirken und Schaffen der Regenwürmer seine volle Aufmerksamkeit zugewendet und im Jahre 1887 der Londoner „Geologischen Gesellschaft“ eine kurze Arbeit vorgelegt, in welcher dargelegt wurde, daß die obere Decke des fruchttragenden Bodens, die meist schwärzlich gefärbte Acker- oder Dammerde, welche wegen ihrer Lockerheit auch Ackerkrume genannt wird, im Wesentlichen ein Erzeugniß der Regenwürmer sei. Darwin zeigte schon damals, wie diese Erddecke von diesen unscheinbaren Thieren, deren Körper sie immer von Neuem passirt, von den Steinen befreit und immer neu gemischt, zerrieben und gelockert wird, sodaß der pflügende Landmann in ihnen seit undenklichen Zeiten einen Vorgänger gefunden hat, dem der unbeackerte Boden seine andauernde Fruchtbarkeit verdankt und dem es größtenteils zuzuschreiben sein dürfte, daß die Pflanzenwelt auf unserem Erdball zu einer solchen Ausbreitung und Entwickelung gelangen konnte, wie sie dieselbe heute zum Nutzen und zur Freude der Erdbewohner zeigt. Darwin war bei seinen Studien von der Beobachtung ausgegangen, daß Schichten von gebranntem Mergel oder Kalk, von kleingeschlagenen Holzkohlen oder Ziegelsteinen, die auf einem unbeackerten Weideplatz oder Anger ausgebreitet werden, allmählich, und zwar an Oertlichkeiten, wo es so gut wie gar nicht staubt von einer mit den Jahren wachsenden Decke schwarzer Erde bedeckt werden, sodaß sie immer tiefer sinken und nach einigen Jahrzehnten an den Wänden einer auf diesem Felde ausgehobenen Grube als zusammenhängende Streifen erscheinen, die je nach den obwaltenden Verhältnissen und der inzwischen verflossenen Zeit vier bis sechs und zwölf Zoll tief unter der Oberfläche liegen. Diese gleichmäßige Versenkung der kleineren, auf die Oberfläche verstreuten oder verlorenen Gegenstände ist das Werk der Regenwürmer, welche ihre Auswürfe an die Oberfläche bringen, wo sie kleinere Steine u. dergl. m. bald überdecken, während der von ihnen unterminirte Boden unter denselben allmählich, sobald die alten Gänge verlassen werden, zusammensinkt. Sie bringen also fortwährend neue Erde von unten in die Höhe und erhalten so die Ackerkrume in einer beständigen, den Pflanzen wohltätigen Bewegung und Verjüngung.

Da diese Angaben und die daran geknüpften Betrachtungen über die wichtige Rolle der Regenwürmer im großen Naturhaushalte mehrfach bezweifelt und abfällig beurtheilt wurden, so hat Darwin seit dieser Zeit die Thätigkeit der Regenwürmer beständig im Auge behalten, und auf seinem Landsitze zu Down, unweit London, auf seinem eigenen Grund und Boden eine Reihe von zum Theil Jahrzehnte dauernden Versuchen über jene Versenkungen unternommen, die Menge der von den Regenwürmern aus verschiedenen Gebieten emporgebrachten Erde ermittelt und endlich ihr Leben und Treiben, ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten mit jener liebevollen Sorgfalt untersucht, wie sie unter Anderen Sir John Lubbock in London seit Jahren den Ameisen gewidmet hat, wobei auch bei den Regenwürmern sehr überraschende Fähigkeiten wahrgenommen wurden. Die Beobachtung dieser niederen Thiere wurde, wie sich Darwin vor längerer Zeit in einem an den Schreiber dieser Zeiten gerichteten Briefe ausdrückte, geradezu zu seinem Steckenpferde, und wir werden bald sehen, daß sie diese besondere Aufmerksamkeit von Seiten eines der größten Beobachter aller Zeiten vollauf verdienten.

Auch in Deutschland sind in neuerer Zeit einige ausgezeichnete Arbeiten über Fähigkeiten und Wirksamkeit der Regenwürmer erschienen, und es werden besonders die Arbeiten von Hoffmeister (1845) und Hensen (1877) über diesen Gegenstand von Darwin mit Bewunderung erwähnt; ihm blieb, außer der Aufhebung zahlreicher Einzelpunkte, vor Allem die auf vielen Versuchen, Beobachtungen und Rechnungen basirte Würdigung ihrer geologischen Wirksamkeit übrig. Um zunächst ihre Fähigkeiten genauer zu untersuchen, hielt sich Darwin in mit feuchter Erde gefüllten Blumentöpfen eine Anzahl von Regenwürmern in seinem Arbeitszimmer, wo er sie in ihrer nächtlichen Thätigkeit bequem beobachten konnte. Es zeigte sich hierbei bald, daß diese Thiere eine strenge Ordnung in ihre Lebensweise eingeführt haben; denn obwohl die Töpfe zugedeckt waren, sodaß es in ihnen ziemlich dunkel blieb, kamen sie lange Zeit hindurch, als ob sie eine Uhr im Leibe hätten, auch hier, wie im Freien, nur des Nachts aus ihrer Gängen heraus. Draußen ist dies bei der großer Zahl von Feinden, die sogar des Nachts ihr Leben bedrohen, und die sich am Tage stark vervielfältigen würde, jedenfalls eine sehr nützliche Vorsicht.

Sie sind überhaupt sehr vorsichtig, und wenn sie nur die Umgebung ihrer Gangöffnung nach abgefallenen Blättern und dergleichen absuchen wollen, so lassen sie ihr Hinterende in dem Gange stecken, um sich bei drohender Gefahr schleunigst rückwärts hineinziehen zu können. Nur nach stärkerem Regen treten sie weitere nächtliche Wanderungen an, um sich an anderen Stellen einzubohren; man findet dann am Morgen ihre nach allen Richtungen sich kreuzenden Spuren im Schlamme. Des Morgens liegen sie im Frühjahr und Herbst, den Jahreszeiten ihrer Hauptthätigkeit, dicht an der Mündung ihrer Gänge und werden darauf vielfach durch Amseln und Drosseln, welche die Felder absuchen, hervorgezogen.

Obwohl sie keine Spur von Augen besitzen, empfinden sie den Schein eines künstlichen Lichtes ebensowohl, wie den der Morgendämmerung, der sie in ihre Löcher zurückscheucht, jedoch nur, wenn er das Mundende trifft, das heißt denjenigen Körpertheil, in welchem ihre Hauptnervenknoten oder kleinen Gehirne in einem den Schlund umgürtenden Nervenringe liegen. Sie bewegen dann dieses Vorderende tastend hin und her, zum Zeichen, daß ihre Aufmerksamkeit erregt ist, und ziehen sich langsamer oder schneller, bisweilen blitzschnell in ihre Gänge zurück. Bleibt dagegen das Mundende beschattet oder steckt es in einem Loche, so kann der übrige Körper beliebig beleuchtet werden, ohne daß das Thier die Flucht ergreift. Wurde das künstliche Licht mittelst

einer Glaslinse auf ihr Vorderende verdichtet, so zogen sie sich

  1. Von dem beliebten Verfasser dieses „Literaturbriefes“ erschien soeben ein Roman in drei Büchern „Die Erbschaft des Blutes“ (Breslau, Ed. Trewendt), auf den wir bei dieser Gelegenheit hinzuweisen nicht verfehlen wollen. Rudolf von Gottschall bewährt in diesem neuesten Producte seiner epischen Muse die bekannten glänzenden Vorzüge seines reichen Talentes: Eigenartige Erfindung der Handlung und der Charaktere, geschickte Schürzung und geistvolle Lösung der Intrigue, sowie Glanz und Farbe in Schilderung und Dialog. Möge das höchst beachtenswerthe, interessante Buch zahlreiche Freunde finden!
    D. Red.
  2. Die deutsche Ausgabe dieses Werkes, welches den Titel führt: „Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer“, erscheint, von Professor Carus in Leipzig bearbeitet, binnen wenigen Wochen im Verlage von E. Koch in Stuttgart.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_820.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)