Seite:Die Gartenlaube (1889) 347.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Alfred suchte nach irgend einem Grund zur Ablehnung. Er wußte keinen. Wie ein Traumgesicht ging fern vor seinem geistigen Auge ein bräutlich gekleidetes Weib durch Kirchenhallen. Aber das Weib war nicht blond und nicht so hochgewachsen wie Germaine – – ah, vorüber, vorüber!

„Ich habe einen theuren Freund,“ sagte er endlich, zu Germaine gewandt, „der wenigstens an dem weihevollen Nachspiel unserer rechtmäßigen Verbindung als Zeuge theilnehmen soll. Auf dem Standesamt werden Ravenswann und mein Notar mir gewiß diesen Dienst erweisen. Nicht wahr, meine gnädige Frau, Sie werden Ihren Gatten darum ersuchen, wenn die Zeit da ist? Sobald die Formalitäten erledigt sind, denke ich eine Reise anzutreten und erst am Tage unserer Verbindung zurückzukehren.“

„Das finde ich sehr passend.“ lobte Frau Mietze, „wir nehmen uns dann der kleinen Braut an. Der Freund, von dem Sie s–prechen, ist wohl S–teinweber? S–teinweber ist auch wirklich ein netter Mensch, er hat so was furchtbar Solides.“

„Ja, Marbod Steinweber ist mir der Bruder geworden, den die Natur mir versagt hat,“ sprach Alfred, innig von dem Wunsche bewegt, daß Marbod billigen möge, was er gethan.

„Marbod Steinweber?“ fragte Germaine. „Mir ist, als habe ich den Namen schon gehört.“

„Es ist der Schriftsteller. Sie werden von ihm gelesen haben,“ meinte Alfred.

„Doch nicht. Wäre es möglich, daß ich dem Herrn einmal in Schwalbach begegnet sein könnte? So viel ich mich erinnere, eine ernste Persönlichkeit mit dunklem Haar, energischen Zügen und denkendem Blick?“ fragte Germaine, in ihrem Gedächtniß suchend.

„Die Beschreibung s–timmt.“

„Aber er ist jahrelang im Ausland gewesen, was er in Schwalbach zu thun gehabt hätte, weiß ich nicht.“

In diesem Augenblicke erschallte die Tischglocke. Die Spieler beriethen eifrig über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die Partie so zu beenden, und beschlossen, nach Tische noch einige Runden zu machen.

An der Tafel lernte Germaine den Mann, dem sie sich anverlobt hatte, von einer neuen Seite kennen. Zum erstenmal seit Wochen fand Alfred die Stimmung zu seinen Scherzen, Anekdoten, Neckereien. Wenn auch seine Zuhörer zu den Leuten zählten, die eine Pointe immer erst auf dem Wege des Nachdenkens einige Minuten hinterher verstanden oder sich untereinander gar erklärten, so wurde das Lachen an ihrer Tischecke doch recht lebhaft. Auch Germaine lachte mit. Alfred hatte sogar, wieder einige kleine Bosheiten, für Frau Mietze auf seiner scharfgeschliffenen Zunge, aber sie nahm heute nichts mehr übel und dachte sogar bei Bemerkungen, die sie nicht verstand – und die waren es, welche sie sonst am meisten übelnahm – „was sich liebt, das neckt sich.“

Aber bei dem allem war es Alfred, als hörte er noch ein anderes, wohlklingendes Lachen, das seinen übermüthigen Einfällen stets augenblicklich zu folgen pflegte. Und ihm war es, als hänge ein dunkles Auge, leuchtend in Fröhlichkeit, an seinen Lippen.

Und sein Uebermuth stieg und sein Lachen wurde lauter. Germaine aber fühlte, wie er sich an seiner eigenen Unterhaltungsgabe berauschte, und das Lachen auf seinen Lippen verbarg ihr nicht, woran sein Herz immer dachte.

(Fortsetzung folgt.)




Schillers Antrittsrede als Professor in Jena.

Der 26. Mai ist ein hoher Ehrentag für Jena und seine Universität; es ist der Tag, an dem vor hundert Jahren Friedrich Schiller in den Kreis ihrer Lehrer trat, der glänzendste Name unter all den Berühmtheiten, deren sich die glorreiche Hochschule vor andern erfreut. Aber auch für Schiller selbst und sein äußeres wie inneres Leben ist der Tag von Bedeutung.

Der Dichter der „Räuber“, dessen Poesie noch vor kurzem im „Don Carlos“ auf neuen Bahnen neue Bewunderung errungen hatte, war unter die Professoren gegangen! Viele seiner Verehrer wollten es nicht begreifen, sein bester Freund, der wackere Körner in Dresden, hatte Mühe, sich darein zu finden, und Schiller selbst konnte nur mit Wehmuth daran denken, daß er nun auf Jahre hinaus an Dinge gebunden sei, die von dem Lichtpunkt seiner Neigungen und Fähigkeiten so himmelweit entlegen seien. Aber er hatte seine guten Gründe zu dieser „heroischen Entsagung“. Einmal brauchte er auch für seine Dichtung gründlicheres Wissen, eine universellere Bildung: „ich gebe mehr aus, als ich empfange.“ Da schien sich die Geschichte zu empfehlen. Die Vorstudien zum „Don Carlos“ hatten ihn mit der niederländischen Rebellion bekannt gemacht, und er empfand es nun wie eine ebenso anziehende als fruchtbringende Erholung, diese Ereignisse in einem Werke darzustellen, von welchem Beifall und ein erklecklicher Gewinn zu erwarten stand. Denn das war nun der zweite, nicht minder bedeutsame Gesichtspunkt. Er war den Dreißigen nahe und hatte es mit all seinen dichterischen Triumphen noch nicht zu einer gesicherten Stellung im Leben gebracht; im Gegentheil, er mußte sich noch mit Schulden schleppen, die ihm alle Lebensfreude verkümmerten. Es ist ergreifend, diesen herrlichen Geist in seinem rastlosen Ringen um jene Zeit zu beobachten, wie er fast auf allen Umgang verzichtet, zwölf Stunden im Tag am Schreibtisch sitzt, wie er rechnet, seine Zeit auf die verschiedenen Arbeiten vertheilt, alle Kräfte dran setzt, zugleich seine Geldverhältnisse zu regeln und seine Bildung auf neue Grundlagen zu stellen. Nur zwei, drei Jahre noch, meint er, in der harten Lohnarbeit, fern von der geliebten Muse, dann winke die lichte Aussicht, zu ihr zurückkehren und dazu ein anderes Ideal erreichen zu dürfen, das neben all den kühnen Bestrebungen seines Marquis Posa in seinem Innern lebt, das Ideal einer still beglückten Häuslichkeit.

Wie reizend war ihm der Sommer 1788 verlaufen, eine sonnenhelle Idylle inmitten seines sturmbewegten Lebens! Nie hatte er sich so innig wohl gefühlt wie in dem kleinen Volkstedt bei Rudolstadt, wo ihm freundliche Sorge eine anmuthige Sommerwohnung ermittelt hatte. Alle Abende nach der harten Arbeit des Tages war er den ländlichen Fußpfad an der Saale hingewandert, dem hochgelegenen Fürstenschloß entgegen, das sich sonnbeschienen von den dunkleren Waldbergen abhob, und oft genug hatte ihn an dem Brückchen halbwegs unter den hohen, alten Bäumen das traute Lengenfeldsche Schwesternpaar erwartet, das sich in die Verehrung für den edelbewegten Dichter zu theilen schien, die geistvoll muntere Karoline, die dem Schwung seiner Phantasie überall hin zu folgen verstand, und die sinnige Lotte, der die zarte Anmuth eines fein empfindenden Gemüths aus den blauen Augen leuchtete. „Wenn wir ihn so,“ hat später Karoline erzählt, „im Schimmer der Abendröthe auf uns zukommen sahen, dann erschloß sich ein heiteres, ideales Leben unserem innern Sinn. Wie wir uns beglückte Geister denken, die sich in einem reineren Element eines vollkommeneren Einverständnisses erfreuen, so war uns zu Muthe.“

Die Erinnerung an diese schönen Stunden war Schiller nach Weimar zurück gefolgt, und das Bild der jüngeren Schwester hatte seine ernste Arbeit umschwebt. Da trifft ihn, kurz nach dem Erscheinen der „Niederländischen Rebellion“, der Antrag einer Professur in Jena. Goethe, Karl August selbst, waren in der Sache gründlich thätig; vermuthlich hatten auch die beiden Schwestern, welche viel bei Frau von Stein vermochten, ihre zarten Hände darin. Und Schiller nimmt an. An eine Besoldung freilich ist nicht zu denken – wir sehen da die ganze Jämmerlichkeit der kleinlichen Verhältnisse von damals –; wären auch von Weimar aus 200 Thaler, das Höchste, was erreichbar schien, beantragt worden, bei den vier andern „hochfürstlichen Nutritoren“ der Universität, Gotha, Koburg, Hildburghausen und Meiningen, wäre zum mindesten eine Bettelei nöthig gewesen, die Schiller seiner nicht würdig fand. Die Hauptsache ist ihm, „in eine gewisse Rechtlichkeit und bürgerliche Verbindung einzutreten“, die ihm eine Stellung gewährte und doch seine innere Unabhängigkeit und die Freiheit zu arbeiten nicht beschränkte. In kurzem muß ja doch eine bessere Berufung nachfolgen. Aber freilich, wie sich vorbereiten auf das neue Amt bei den vielen, vielen Aufträgen, die er übernommen hat und die des Geldes wegen höchst nöthig sind? Goethe sagt wohl: docendo discitur. Aber die Herren wissen alle nicht, wie kurz es mit seiner Gelehrsamkeit bestellt ist, und wie viel er „durch Lehren zu lernen hat“. Mancher Student weiß vielleicht mehr Geschichte als der neue Herr Professor. Aber, tröstet

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_347.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2020)