Seite:Die Gartenlaube (1899) 0609.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Rede, nämlich in einem Scheltgedicht, äußert, das ans Rathaus angeschlagen wird und ergreifend anhebt:

„Als unsere Stadt im Wohlstand saß,
Da war es finster auf der Straß’,
Doch als das Unglück angefangen,
Hat man Laternen aufgehangen.“

Man sieht, Kommunalpolitik und Beleuchtungsfragen waren von jeher verschwistert. Die Polizei der Stadt leidet an dem prinzipiellen Mangel, daß ihr ein Viertel der Einwohner, die sogenannten „Bevorrechteten“, Adel, Geistlichkeit, Beamte und Besatzung, nicht unterstehen. Desto größer ist dafür auf der andern Seite die Zahl polizeilicher „Ordnungen“, welche das Dasein des Bürgers von seinem Eintritte in das mühenreiche Leben bis zum seligen Ende, ja selbst vor- und nachher regeln. Kindtaufe, Erziehung, Dienstbotenwesen, Kleider, Essen und Trinken, Hochzeiten, Almosen, Leichenbestattung, Fluchen, „wucherliche Handlungen“ – kurz jeder rechtliche und widerrechtliche Schritt unterliegt irgend einer polizeilichen Bestimmung. Sogar die ersten öffentlichen Luftschiffahrtsversuche, die unter fieberhafter Teilnahme des Publikums im Jahre 1784 stattfinden, haben, da die Montgolfiere beim Niederfallen ein Holzmagazin anzündet, eine „Polizeiordnung“ zur Folge, „wodurch künftighin verbotten, Luftkugeln, welche durch Feuer aufgetrieben werden, in die Höhe zu schicken“. Auch Goethe, der 1770 in Straßburg studierte, hat uns ein Beispiel davon überliefert; in „Wahrheit und Dichtung“ erwähnt er die strengen Bauverordnungen, welche den damals geplanten Umbau der Stadt hemmten. Im Vergleiche mit dieser Masse von Verordnungen erscheint die mit ihrer Durchführung betraute Macht sehr gering, denn sie zählt bloß zwölf Schutzleute (von denen 1787 kaum fünf ihren Pflichten nachkommen können) und einige Wächter. Trotzdem gilt die, nebenbei bemerkt, schon in einem Gedichte des 15. Jahrhunderts gerühmte „gute Policey“ Straßburgs anderen Städten als Muster.

Gleich der Polizei ist die Feuerordnung, welche auf dem Löschdienst der Zünfte beruht, ein Stolz der Stadt. Als Ergänzung erscheint jährlich eine Instruktion, wie die 40 Löschmänner „zu denen vorfallenden Feuersbrünsten, die Gott in Gnaden lange abwenden wolle, sich zu verhalten, und was jeder insonderheit darbei zu verrichten habe“.

Bambusallee im Versuchsgarten zu Algier.
Nach einer Photographie von A. Leroux in Algier.


Unter den Neuerungen, welche die Stadt am Ausgange des Jahrhunderts erlebt, figuriert auch die Aufstellung von numerierten „Fiacres“ an bestimmten Plätzen, deren Zahl, selbstverständlich durch eine polizeiliche „Ordnung“, auf zwölf festgesetzt ist und welche wie ihre heutigen Standesgenossen bereits einen Fahrtarif „ausschließlich Trinkgeld“ mit erhöhten Preisen für die Nachtzeit haben. Daneben vermitteln, nicht minder polizeilich geregelt, zwanzig Droschken den Verkehr; aber auch die Sattler und die vornehmsten Gastwirte dürfen ein Gefährt und bis zu drei Pferden „zum Behuf des Publici und zur Bequemlichkeit der bei ihnen logirenden Fremden“ halten. Dem Verkehr nach auswärts dient die teuere, aber bequeme Diligence, welche nach Paris dreimal wöchentlich abgeht, und die fürchterliche Landpostkutsche, die trotz acht Pferden Vorspann zu der Strecke von Straßburg nach Paris, die der Schnellzug heute in sechs Stunden zurücklegt, volle elf Tage braucht. Der deutschen „Postschnecke“, diesem echten Wahrzeichen der „guten alten Zeit“, hat Börne eine Satire gewidmet. Weniger bekannt dürfte sein, daß auch Rückert in der „Weisheit des Brahmanen“ leidvoll ihrer gedenkt:

„Weh’ aber dem, der, wenn Geld oder Kraft versiecht,
Um fortzukommen nur, in Postlandkutschen kriecht;
Wo mit viel andern er liegt schichtweis aufgestoppelt,
Und mit der Fracht ein Paar von dürren Mähren hoppelt.“

Wie zum Teil in den öffentlichen Einrichtungen regt sich im bürgerlichen Leben etwas von einem neuen Geiste, während gleichzeitig der französische Einfluß auf die Sitten der im Kerne, wie Jakob Grimm sagt, noch „recht teutschen“ Stadt wächst, um schließlich durch die Revolution den Sieg davonzutragen. Die Mode erscheint auch hier als Barometer des politischen Luftdrucks. Da ist neben einer französischen Mädchenpartei, welche immer mehr Proselyten macht, in der Stadt eine andere, welche die sogenannte deutsche Tracht trägt, in welcher auch Friederike Brion im Sesenheimer Pfarrhaus einherging: kurzen Rock, knappes, weißes Mieder, schwarzes Taffetschürzchen – sehr klug gewählte Toilettestücke, um die von gleichzeitigen deutschen und französischen Reisenden am meisten gerühmten Reize der hübschen Straßburgerinnen, feine Taillen und zierliche Füßchen, ins günstigste Licht zu setzen. Dazu schwere, dreiteilige Zöpfe bei den Mädchen, bei den Frauen die goldenen „Schneppenhauben“, über welche sich ein Wiener im Jahre 1781 in seinem Reiseberichte äußert: „Die Weiber tragen hier ein kleines Häubchen von Gold, das einer Krone ähnlich ist und nicht übel bildet. Als ich das erste Mal mit einigen schönen Frauen speiste, glaubte ich mich zwischen Kaiserinnen und Königinnen des 15. Jahrhunderts versetzt.“ Schließlich fällt die deutsche Tracht, über deren malerische Wirkung Goethe so Schönes gesagt hat, als Opfer des französischen Revolutionstribunales, das am 15. November 1793 das Edikt erläßt: „Die Bürgerinnen Straßburgs sind eingeladen, die deutsche Tracht abzulegen, da ihre Herzen fränkisch gesinnt sind.“ Die Frauen legen auf dem „Altar des Vaterlandes“ Hunderte von gold- und silbergestickten Schneppenhauben nieder, deren Verkauf der „Nation“ 2544 Livres einbringt.

Daß manche Uebel, die man als moderne betrachten möchte, schon in der „guten alten Zeit“ nicht fehlten, lehrt uns das Gezeter gegen stundenlanges Klavierklimpern, „ohne etwas dabey zu fühlen“, und die Romanleserei. Hört es sich nicht wie ein Klageruf von heute an, wenn ein Hagestolz in einem Blatte über die Gründe seiner Ehescheu sich vernehmen läßt: „Wie die Mademoisellen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0609.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)