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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

neues geheiligtes Leben geführt werden müsse zu jeder Stunde des Tages und an jedem Orte, und daß ferner die Gläubigen unter sich einen festen Verband der Liebe und der gegenseitigen Anhänglichkeit bilden, um sich für die große Stunde des verheißenen Weltgerichtes, das bald kommen werde, zu stärken und bereit zu halten.

Diese Prediger sammelten bald eine Gemeinde um sich, bestehend aus hülfsbedürftigen dunklen Seelen, aus natürlichen Kopfhängern, aus schwachen Hochmüthigen, welche selbst an ihrem geringen Orte einen Standpunkt suchten, von welchem aus sie besser sein konnten, als der Nachbar, aus guten Herzen, die ihre Liebe trieb, aus Unglücklichen, die einen Trost zu finden hofften, der ihnen anderwärts nirgends blühte. Einige von ihnen, wenn sie katholisch gewesen wären, hätten sich einfach in ein Kloster gemacht, andere, wenn es ihre Lebensverhältnisse mit sich gebracht hätten, wären Freimaurer geworden, wiederum andere, wenn sie bemittelt und gebildet gewesen wären, hätten sich irgend einem gemeinnützigen oder wohlthätigen Verein oder einer gelehrten, oder einer musikalischen Gesellschaft angeschlossen, um sich aus dem Staube des gemeinen Lebens zu erheben. Alles dies ersetzte ihnen nun die stille gläubige Genossenschaft; da fanden sie nicht nur die Heiligkeit und das ewige Leben, sondern auch

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/504&oldid=- (Version vom 31.7.2018)