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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Kurzweil und Unterhaltung zur Genüge in fortwährendem Reden, Lehren, Disputiren, Beten und Singen.

Allein sie waren keineswegs geschätzt und beliebt, sondern von allen Seiten verfolgt und verlacht, von der Kirche, von den Freien, von den Orthodoxen, von den vornehmeren Frommen, vom Volke, von den Behörden. Besonders auf dem Lande wurden ihre Zusammenkünfte gestört und auseinandergesprengt, und die Unduldsamkeit, welche sich bei ihnen selbst frühzeitig einnistete, wurde auch reichlich gegen sie geübt.

Am Orte, in welchem die arme Witwe wohnte, waren die Sektirer besonders heftig verfolgt worden, und sie durften nicht mehr im Gemeindebann sich versammeln. Sie hielten ihren Gottesdienst daher in einer Wildniß, in dem abgelegenen Gemäuer einer zerstörten Zwingburg, welche man die Teufelsküche nannte. Sie kehrten sich nicht an den neuen Spott, der hiedurch gereizt wurde, und predigten und sangen gar andächtig zwischen dem Gebüsch und Unkraut.

Ursula hörte in ihrer verfallenden Hütte eines Sonntag Abends die frommen Lieder durch die stille Luft herüber tönen, just von daher, wo die goldenen Wolken über dem Walde standen. Es zog sie gar tröstlich, dem Glanz und dem Tone nachzugehen; sie nahm also, ihr zweijähriges Töchterchen, das Agath

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/505&oldid=- (Version vom 31.7.2018)