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seinen Messerstichen und seinen Geisselhieben – das Mittelalter ist das wahre Christentum und der mittelalterliche Christus ist der wahre Christus. Als die Renaissance über der Welt tagte und die neuen Ideale der Schönheit und der Freude des Lebens mit sich brachte, konnten die Menschen Christus nicht verstehen. Selbst die Kunst zeigt es uns. Die Maler der Renaissance stellten Christus als kleinen Knaben dar, wie er in einem Palast oder einem Garten mit einem andern Knaben spielte, oder wie er in den Armen seiner Mutter lag und ihr oder einer Blume oder einem glänzenden Vogel zulächelte; oder als edle, majestätische Gestalt, die adlig durch die Welt ging; oder als wundervolle Gestalt, die in einer Art Ekstase aus dem Tod sich zum Leben erhob. Selbst wenn sie ihn am Kreuze darstellten, zeigten sie ihn als schönen Gott, dem böse Menschen das Leiden auferlegt hatten. Aber er ging ihnen nicht sehr nahe. Sie entzückte es, wenn sie die Männer und Frauen malen konnten, die sie bewunderten, wenn sie

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Oscar Wilde: Drei Essays. Karl Schnabel, Berlin 1904, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Drei_Essays_Oscar_Wilde.pdf/99&oldid=- (Version vom 31.7.2018)