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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Erster Band.pdf/179

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hört, daß die Anstalt als aristokratisches Institut verrufen sei und von Proletariern bedroht werde. Blochmann hat die Zöglinge nach Pirna entsendet, von wo aus sie in Abtheilungen weiter gehen sollen. – Im ganzen wenig Veränderung. Dasselbe zeitenweise Sturmläuten, dasselbe immer mit dem Morgen erwachende Schießen. Man hört, Preußen seien in Neustadt eingetroffen, doch nur erst 800 Mann. Von Fortschritten des Militärs gegen die Aufständischen ist nichts wahrzunehmen. – Carl hält sich von jetzt an zur Sicherheitswache. Blochmann begiebt sich ebenfalls nach Pirna. Graf Buttler[1], nachdem er seine Prinzen (Thurn und Taxis) fortgebracht hat, hält sich zu unserm Posten.

8) Dienstag. Wenig fühlbare Veränderung. Viele aus der Nachbarschaft ziehen aus Dresden hinaus, um Gefahren zu entgehen. Wir sind im ganzen guten Muthes und weisen Aufforderungen zur Flucht zurück. Und das war gut. Was hätten wir mit den kleinen Kindern, der alten Mutter draußen in den überfüllten Dörfern machen sollen? Da hätten wir wahrlich leicht aus dem Regen in die Traufe kommen können. ... Völlige Unsicherheit und fortwährende Widersprüche in den Nachrichten; doch wird es wahrscheinlich, daß der Neumarkt und das Gewandhaus von den Truppen genommen ist. Auf unserer Straße geht es zwar immer sehr lebhaft zu wegen der beständigen Zuzüge aus größerer und geringerer Ferne; Exzesse sind aber Gott sei Dank nicht vorgekommen, noch weniger Kampf. Abends wurden mit zahlreicher Begleitung und wie im Triumph die sechs Kanonen des Freiherrn von Burgk aus dem Plauenschen Grund hereingebracht; ich weiß mich aber nicht mit Bestimmtheit zu erinnern, ob gestern oder vorgestern. – Eine von diesen Kanonen wurde, wie wir später hören, auf den Thurm des sogenannten Thurmhauses am Zwinger, Anfang der Ostra-Allee, hinaufgezogen, um von da aus den Zwingerwall bestreichen zu können. Dort standen aber auch Kanonen der Soldaten, die das Thurmhaus dann sehr übel zurichteten.

9) Mittwoch. In der Nacht von gestern auf heute bricht das Eis. Um zwei Uhr Morgens wird die Post vom Militär genommen. Die provisorische Regierung (Tzschirner, Heubner, Todt) und andere Führer um diese Zeit entflohen. Todts Gattin wohnt uns gerade gegenüber, und fortwährend sahen wir sie am Fenster, mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dem Gang der Ereignisse folgend. – Nach drei Uhr Beginn des Rückzugs der Aufständischen. Er erfolgt großentheils durch unsere Straße. Viel schönes junges Blut, aber auch viel Gesindel. Um fünf Uhr massenhafter Abzug, der bis acht Uhr dauert und dann beendiget scheint, während in der Stadt an vielen einzelnen Punkten der Kampf fortdauert, wie man aus den vereinzelten Schüssen entnehmen kann. Ein junger Mensch, er schien Handwerker, stürmt zu uns herauf, und erkältet und durch näßt (es war sehr regnerisches Wetter) bittet er um einen Rock. Er erhält ihn und ist überglücklich. – Später erblickt die Hausfrau einen schönen, stattlichen blonden jungen Menschen auf der Straße, der einzelne fliehende Kameraden zurückhalten will. Er hält die Sache noch nicht verloren. Alles verläßt ihn. In Thränen bricht er aus und kehrt nach der Stadt langsamen Schrittes zurück, um noch zu kämpfen. Gegen zehn Uhr rücken sächsische Schützen und Preußen in unsern Stadttheil ein. Der Kampf hat ein Ende. Die Verhaftung Verdächtiger dauert noch lange fort. Aber auch mit großer Willkür werden Leute festgehalten, die gar keinen Grund zum Verdacht darbieten. So kam ich dazu, wie am Dippoldiswalder Platz Ludwig Enns[2], das gute Schaf, festgenommen wurde, weil – weil er einen sogenannten Kalabreser Hut aufhatte, wie unzählig viel junge Leute ihn tragen. Dieser muß mehrere Tage in widriger Haft (mit vielen andern in der Frauenkirche) verweilen, bis es mir gelingt, ihn durch Verwendung bei der Behörde zu befreien.

Sobald als möglich, verfüge ich mich nach der Galerie. Es sieht dort sehr wüste aus. Alles liegt noch voller Stroh; denn die Soldaten haben sich am Sonnabend oder Sonntag wieder in die Galerie hereingezogen, um von da aus die Bedienung der Batterie zu decken, die von der Augustusstraße aus an den Neumarkt geführt worden war, und campirten mehrere Tage hier. Viele kleinere Bilder sind herabgenommen. Regierungsrath Schulz[3] hatte dies bewerkstelligt, um die bedrohten Gegenstände nach Möglichkeit zu schützen. Eine ungeheure Zahl von Fensterscheiben ist zertrümmert, die in der Augustusstraße durch die Erschütterung, welche das Schießen mit dem groben Geschütz verursacht hat. Viele Gemälde sind durchlöchert. Sobald die Aufständischen von der Galerie aus beschossen wurden, antworteten sie natürlich. Glücklicherweise konnte nur vom Jüdenhof aus nach der Galerie geschossen werden, so daß nur bis auf wenige Ausnahmen die Gemälde in den drei nach dem Neumarkt liegenden Sälen beschädiget wurden. Als ich später an den König über den angerichteten Schaden berichtete, zählte ich 83 beschädigte Bilder. Die Flucht der Clölia von Van Dyk ist von 15 Kugeln, die in demselben Saal befindliche Copie nach Rubens (Satyrn, eine Tigerin mit ihren Jungen


  1. Erzieher der Prinzen zu Thurn und Taxis, welche die Blochmannsche Anstalt besuchten.
  2. Ein alter Schüler Schnorrs aus München.
  3. Vorstand der Expedition der königl. Sammlungen für Kunst und Wissenschaft, Direktor der Galerie der Statuen und des Münzkabinets. Derselbe wohnte auf der Klostergasse.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/179&oldid=- (Version vom 18.5.2024)