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Untauglichkeit alles Geschaffenen als Mittel zur Vereinigung usw.

und ohne ihr Zutun über die Seele kommen, darf sie sie „weder suchen noch abweisen; sie möge sie nur in Demut und Ergebung hinnehmen, dann wird Gott Sein Werk tun, wie und wann es Ihm gefällt“.

Der Heilige rät also bei diesen Erkenntnissen nicht wie bei allen früher besprochenen, sie abzuweisen. Sie sind ja ein Teil der Vereinigung, zu der Er hinführen will. Um ihretwillen soll man sich alles anderen entledigen und alle Leiden „in Demut und Ergebung, ohne Rücksicht auf jegliche Vergeltung, rein aus Liebe zu Gott .... auf sich nehmen. Denn diese Gnaden .... sind nur ein Beweis ganz besonderer Liebe, welche Gott gegen eine solche Seele hegt, weil auch sie gegen Ihn ganz uneigennützig ist .... Gott offenbart sich der Seele, die sich Ihm überläßt und Ihn wahrhaft liebt“[1].

Sehr verschieden von diesen Erkenntnissen sind die andern, die sich auf Dinge beziehen sowie auf Taten und Vorkommnisse unter den Menschen. Sie gehören zum Geist der Propheten und dem, was Paulus „Unterscheidung der Geister“ nennt (1 Cor. 12, 10). Sie prägen sich der Seele tief ein und erwecken eine unerschütterliche Überzeugung von ihrer Wahrheit. Dennoch muß sie ihr Urteil dem des geistlichen Führers unterwerfen, weil der Weg des Glaubens sicherer zur Vereinigung mit Gott führt als der des Verstehens. So gelangen manche Menschen auf übernatürliche Weise zur Erkenntnis der Natur und ihrer Kräfte. Bisweilen sind das nur einzelne und vorübergehende Erleuchtungen, bei weit Fortgeschrittenen aber mitunter allgemeine und dauernde Erkenntnisse. Geistliche Menschen können auch kraft übernatürlicher Erleuchtung aus oft ganz unscheinbaren äußeren Anzeichen ergründen, was im Innern anderer Menschen vor sich geht. Es wird ihnen ferner eine Kenntnis von den Taten und Geschicken Abwesender verliehen. Diese Kenntnisse werden empfangen ohne eigenes Zutun. Es kann sein, daß man, ohne im mindesten daran zu denken, ein ganz klares Verständnis dessen gewinnt, was man gerade liest oder hört, ja viel besser, als es einem der Wortlaut beibringen kann. Es kommt sogar vor, daß man Worte einer unbekannten Sprache hört und doch den Sinn vollkommen versteht. Auf diesem Gebiet hat (im Gegensatz zum vorausgehenden) der Teufel wieder weiten Spielraum. Doch auch abgesehen davon haben sie wenig Wert für das Ziel der göttlichen Vereinigung und bringen mancherlei Gefahren mit sich; darum ist es das Beste, sie von sich zu weisen, dem Seelenführer Rechenschaft zu geben und seinem Rat zu folgen. Diese Dinge werden ja der Seele nur passiv


  1. a. a. O. B. II Kap. 24, E. Cr. I 235 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/065&oldid=- (Version vom 3.8.2020)