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Martin Heideggers Existentialphilosphie

Weise, sein Da zu sein. Es ist erleuchtet, besagt: an ihm selbst als In-der-Welt-sein gelichtet, nicht durch ein anderes Seiendes, sondern so, daß es selbst die Lichtung ist[1]. Das Erschlossensein beruht nicht auf reflektiver Wahrnehmung, sondern ist ein Existential, etwas zum Dasein als solchem Gehöriges. Als gleich ursprünglich sind im Dasein aufweisbar Befindlichkeit und Verstehen. Befindlichkeit bezeichnet eine innere Gestimmtheit. Das Dasein ist immer in irgendeiner Stimmung; sie kommt weder von außen noch von innen, sondern ist eine Weise des In-der-Welt-seins. Und sie offenbart ihm seine Geworfenheit: es findet sich als in der Welt seiendes und so gestimmtes. „Das pure daß es ist zeigt sich, das Woher und Wohin bleiben im Dunkel“. „Es findet sich“ – das bedeutet nichts anderes, als daß es für sich selbst erschlossen ist. Diese Erschlossenheit ist der eine Sinn des Verstehens. Darüber hinaus liegt aber darin ein „sich verstehen auf...“, d.h. eine Möglichkeit oder ein Können, das ihm als zu seinem Sein gehörig durchsichtig ist. „Dasein ist nicht ein Vorhandensein, das als Zugabe noch besitzt, etwas zu können, sondern es ist primär sein Möglichsein“[2]. Das existentiale Verstehen ist das, woraus Denken wie Anschauung sich ableiten. Zum Verstehen der eigenen Möglichkeiten kommt das Verstehen der innerweltlichen Möglichkeiten, die für das Dasein Bedeutung haben: das Dasein entwirft beständig sein Sein auf Möglichkeiten. Es ist in diesem Entwerfen immer schon das, was es noch nicht ist, und zwar auf Grund seines verstehenden Seins.

Das Verstehen kann sich entfalten zu einem Auslegen, d.h. zu einem Verstehen von etwas als etwas. Dazu gehört noch nicht notwendig sprachlicher Ausdruck. Vorausgesetzt ist immer ein schlichtes Verstehen, und zwar ein Verstehen aus einer Bedeutungsganzheit; darin liegt ein Vor-haben, eine Vor-sicht und ein Vor-griff in bestimmter Richtung.

Sein, das sich einem Dasein erschließt, hat einen Sinn. Verstanden ist das Seiende selbst; der Sinn ist nicht an sich, sondern ist eine existentiale Bestimmung. Nur Dasein kann sinnvoll oder sinnlos sein. Nicht Daseinsmäßiges ist unsinnig, und nur es kann widersinnig sein. Der Sinn ist in der Auslegung gegliedert und schon im Verstehen als gliederbar erschlossen. Indem ein Zuhandenes aus seinem


  1. a.a.O. S. 133.
  2. a.a.O. S. 143.
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Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/74&oldid=- (Version vom 28.5.2019)