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Walther Kabel: Ein Strandspaziergang mit Lebensgefahr. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 449–452

Wir waren in die Feuerlinie einer von dem Exerzierplatz nach der See hin scharfschießenden Truppe gekommen, die uns nicht sah …

Die Fahne bedeutete das Warnungszeichen; der Husar war nichts anderes als der Absperrungsposten, und fraglos hatte er unser Winken mit dem Hut als Antwort aufgefaßt, daß wir seine Worte verstanden hätten, – sicherlich war er nur deswegen, ohne sich weiter um uns zu kümmern, mit den anderen Spaziergängern in das Gehölz eingebogen, – eben in der Hoffnung, daß auch wir dorthin nachfolgen würden …

Alles begriff ich jetzt, alles! In solchen Momenten arbeitet der Geist mit seltener Schärfe, mit unglaublicher Schnelligkeit … Eine Reihe unglücklicher Zufälle allein hatte uns ahnunglos in diese Gefahr gestürzt … Ich hatte in den letzten Tagen keine Zeitung zur Hand genommen, wo, wie ich als Danziger Kind nur zu gut wußte, das Scharfschießen stets vorher angekündigt und auch das gefährdete Gelände genau bezeichnet wurde. Und Karl mußte diese Bekanntmachung offenbar gleichfalls übersehen haben …

Auch mein Freund hatte jetzt alles begriffen. Das zeigte mir ein einziger Blick in sein leichenblasses Gesicht. Was dann weiter geschah, war nur wie kurzer, wüster Traum. Wir mußten heraus aus dieser Hölle, aus diesem Zischen und Pfeifen, das die vorbeisausenden Geschosse erzeugten, aus diesem Kugelregen, dem wir schutzlos preisgegeben waren.

Aber ringsum nur das flache Gestade, kein Hügel, nichts, hinter dem wir hätten Schutz suchen können …

Längst lagen wir nebeneinander lang ausgestreckt im weichen, weißen Sande … Unsere unnatürlich geweiteten Augen suchten nach einer Deckung … Der kalte Schweiß rann uns über die Gesichter.

Und um uns zischte und pfiff es ohne Unterbrechung. Sandwölkchen stäubten ganz in unserer Nähe auf – die Einschlagstellen der Geschosse!

Hier gab‘s kein langes überlegen. Da – vor uns eine Düne, deren gegen die See hin abfallender Hang sicheren Unterschlupf gewährte … Aber 300 Meter sind‘s bis dahin – mindestens 300 Meter!

Ein kurzes Wort der Verständigung. Und dann bewegen wir uns kriechend vorwärts, eng an den Boden angeschmiegt. Ein Mal schreit Freund Karl hinter mir laut auf. Zum Glück hat ihm nur ein dicht neben ihm einschlagendes Geschoß den feinen Sand ins Gesicht gefegt … Aber die Glieder sind mir trotzdem wie gelähmt. Und die 300 Meter nehmen und nehmen kein Ende …

Endlich – endlich …! Wir liegen hinter dem Dünenhang, keuchend, mit geschlossenen Augen … Lange dauerte es, bis wir uns auch nur einigermaßen wieder erholten. Kein Wort sprachen wir.

Und doch taten wir sicher dasselbe, werden vielleicht nie wieder so inbrünstig im Stillen zu Gott gebetet haben, wie damals in unserem heißen Dankgefühl über unsere glückliche Errettung. –

Zwei Stunden später überzeugten wir uns dann mit aller Vorsicht, als längst schon die verhängnisvollen Zeichen des Geschoßeinschlags im Sande und im Wasser aufgehört hatten, ob die warnende, rote Flagge in den Dünen noch immer wehte. Der Flaggenmast war leer. In voller Sicherheit konnten wir jetzt unseren Weg fortsetzen. Dicht vor unserem Schlupfwinkel fand ich dann

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Ein Strandspaziergang mit Lebensgefahr. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 449–452. Verlag der Paulinus Druckerei, Trier 1914, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Strandspaziergang_mit_Lebensgefahr.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)