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Walther Kabel: Erbschaftsprozesse gegen Tiere. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 13, S. 296–297

den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die ganze Welt bereist hatte und schnell ein reicher Mann geworden war. Leonhard fand im Alter von achtundvierzig Jahren seinen Tod in New York, wo er gerade mit seiner Tiergruppe im Zirkus Barton auftrat. Er wurde während des Dressuraktes von der Löwin Sultana so schwer verletzt, daß er am nächsten Morgen starb. Er hinterließ ein Testament, in dem er bestimmte, daß die Zinsen seines Vermögens dazu verwendet werden sollten, seine sechs Löwen bis an ihr Lebensende aufs beste zu verpflegen. Diese Bestimmung sollte auch dann gültig bleiben, wenn er durch eine der Bestien selbst getötet würde.

Auch in diesem Falle kam es zwischen Leonhards Erben, zwei Neffen von ihm, und dem Testamentsvollstrecker zum Prozeß, aber das Testament wurde auch hier für gültig erklärt. Besser sind wohl nie wieder Raubtiere gefüttert worden als die sechs Leonhardschen Löwen, die jahrelang von den New Yorkern im Zoologischen Garten als beneidenswerte „Wundertiere“ angestaunt wurden. –

Daß Rennpferde von ihren Besitzern, denen sie ja oft ein Vermögen eingebracht haben, zu Erben eingesetzt wurden, ist häufig vorgekommen. Einzig in seiner Art aber dürfte das Testament des in Budapest unlängst verstorbenen Sportmannes Vizoni sein, der sein bewegliches Vermögen im Werte von dreihunderttausend Kronen seinen zwölf Wagenpferden vermachte und den Landestierschutzverein mit der Durchführung der Nachlaßbestimmung betraute. Die Verwandten Vizonis fochten das Testament an und boten im Verlaufe des Prozesses dem Tierschutzverein zum Ausgleich hunderttausend Kronen, worauf der Verein jedoch nicht einging, vielmehr auf der Auszahlung der ganzen Erbschaft bestand. Heute sind nun sozusagen die zwölf Wagenpferde im Besitz eines Urteils, das ihre Erbansprüche voll und ganz anerkennt. Und erst wenn sie ihre allerletzte Portion Hafer einmal vertilgt haben werden, können die Verwandten des pferdeliebenden Testators die dreihunderttausend Kronen für sich zurückfordern.

W. K.
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Walther Kabel: Erbschaftsprozesse gegen Tiere. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 13, S. 296–297. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1912, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Erbschaftsprozesse_gegen_Tiere_(Heft_13,_296-297).pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)