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Nro. 43.
19. II. Band.
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St. Urbans Kellerhals.
Ein Märchen von F. M. Duttenhofer.

In der Wohnstube des armen Michels, eines Weingärtners, sah es betrübt aus, denn es hatten sich schon seit Jahren drei Gäste dort einquartiert, welche jeder gern zur Thüre oder gar zum Fenster hinauswürfe, wenn sie nicht so hartnäckiger Natur wären, daß sie auch dem Stärksten, der dieses versuchen wollte, Widerstand leisteten. Diese böse Einquartierung waren Noth, Kummer und Hunger, und sie hatte der armen Familie schon mehr Uebles zugefügt, als je eine Einquartierung von Franzosen, Schweden oder Croaten hätten thun können. Es half dazu, wie immer solche Gäste ihre Helfer und Helfershelfer mitbringen, noch ein strenger Winter und andere Umstände, welche ein Blick in Michels Wohnstube dem Auge des Lesers klar machen wird.

Die niedere und rauchige Stube enthielt außer einem Tisch und zwei Stühlen, davon der eine nur drei Beine hatte, nichts als eine große Himmelbettstatt, welche hinter dem weit in die Stube hineinragenden Ofen stand. An dem Tische saß der Michel und hatte die große Familienbibel vor sich aufgeschlagen; von Zeit zu Zeit sah er hinaus zu dem kleinen Fenster, dessen runde Scheiben in Blei gefaßt und an vielen Stellen durch Papierstreifen ersetzt waren. Er sah den Schneeflocken zu, welche unabläßig in lustigem Gewimmel herabfielen. Seine Frau, die man nur das braune Kätterlein nannte, lag im Bette hinter dem Ofen und schlummerte; sie war vor wenigen Tages eines Kindes genesen, das in einem von Weiden geflochtenen Korbe lag, welcher mittelst eines Strickes an die hölzerne Decke der Bettstatt befestigt war. Es war Sonntag und die Nachmittagskirche noch nicht zu Ende.

Nachdem Michel eine Zeitlang zum Fenster hinaus geguckt hatte, schlug er die Bibel zu und wischte sich ein Paar große Thränen ab, welche über seine gebräunten Wangen liefen.

– Pfui Michel! sagte er zu sich selbst, Thränen! Aber habe ich nicht alle Ursache zu weinen, fuhr er nach einer Pause fort, kann es einem armen Burschen schlimmer gehen? Jetzt ist Alles hin! Alles bis auf den Wingert im St. Urban, und der ist halb versetzt und verpfändet und der Zins noch nicht bezahlt; das Weib im Kindbett und der Doctor und der Apotheker und die Hebamme, und in drei Tagen der Christtag – – und die Kinder, die sich so freuen – es ist um einem das Herz abzudrücken. Mein Seel, ich gäb ein Glied von der rechten Hand, wenns anders

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/149&oldid=- (Version vom 9.5.2024)