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wär! Ja heul nur Michel! du bist doch an Allem selber Schuld; hättest ihn sollen laufen lassen, er zahlt dir’s doch nimmer; jetzt ist er in Amerika und lacht dich aus. Und der leibhaftige Bruder! Aber wer hätte das denken können; jetzt ist es zehn Jahre her. Ich weiß es noch wie heut; da kam er her und sagte: „Bruder, ich will auswandern, ich habe mein Glück und auch das deine im Auge, denn der Better Jörg in Ohio der hat mir geschrieben und ist ein reicher Mann geworden; er hat auch nicht mehr gehabt als unser einer. Gib mir nun das Geld für meine fünf Morgen Weinberg und das halbe Haus, denn unser Vater hat uns zehn Morgen und ein Haus hinterlassen; ein einziger guter Herbst bringt dies wieder ein und du bist dann im Besitz von zehn freien Morgen Wingert.“ So sprach er und ich ging den Handel ein; ich setzte meines Weibes Vermögen dran, und nahm Geld auf, weil es doch nicht reichen wollte; ich hab nun gehofft und gehofft und geschafft und geschafft, konnte vor lauter Arbeit in meinem Wingert so gut als nichts durch Taglohn verdienen, aber das gute Weinjahr kam nicht, die schlechten haben Zinsen und das Capital gefressen, und jetzt soll ich den letzten Morgen verpfänden! Der Bruder läßt auch gar nichts von sich hören, am Ende ist er verdorben wie ich oder gar gestorben. Dem armen Michel flossen bei diesen Gedanken die bitteren Thränen über die Backen, er wischte sie aber schnell ab, als er aus der Kirche läuten hörte und erwartete die Ankunft seiner Kinder.

Bald darauf kamen seine zwei älteren Kinder herein: ein braunes Mädchen von zehn und ein blondgelockter Knabe von acht Jahren, singend und jubelnd und die Schulbücher unter dem Arme. Michel gebot ihnen Stillschweigen, damit sie die Mutter nicht weckten, und schnitt jedem ein Stück schwarzes Brod zum Vesperessen ab, das sie mit großem Appetit zu verzehren begannen.

Da klopfte es am Fenster. Michel öffnete und sah das pfiffige Gesicht des Büttels hereinlugen.

Michel, sagte dieser, du mußt morgen früh zum Schulzen aufs Rathhaus, um acht Uhr ist Sitzung; ich weiß nicht warum, du wirst schon wissen.

Geh nur, sagte der Michel ärgerlich, geh nur! einen schönen Gruß und ich werde schon kommen. Damit wollte er das Fenster zuschlagen.

Nun, bist du bös? erwiderte der Büttel; aber ich weiß dir auch was Neues; es ist ein Fremder hier, ich glaube er ist in Amerika gewesen, er hat mächtig viel Geld und weiß allerlei zu erzählen; komm mit in die Krone, es ist schon des Anhörens werth und kostet nicht viel, einen Schoppen Bier kann man schon dran rücken.

Den Michel regte diese Rede an, er hoffte etwas von seinem Bruder zu hören, versprach dem Büttel zu kommen und machte das Fenster zu.

Da wachte das braune Kätterlein auf mit einem großen und schweren Seufzer.

O Gott! o Gott! rief sie, – und nach einer Pause, – Michel bist du da?

Der Mann trat besorgt an das Bett, nahm sie bei der Hand, und fragte sie was ihr sei.

Ach wie bin ich froh, daß du da bist, ich hab’ einen argen Traum gehabt. Du standest oben in St. Urban, ganz oben, wo man die schöne Aussicht auf das Thal hat, neben der Hütte, welche dein Vater in den Felsen eingehauen, und die er scherzweise St. Urbans Kellerhals nannte. Da standest du ganz wie eingewurzelt und botest die Hände herunter. Aus deinen Fingern aber sproßten Rebenranken, und ein großer Rebstock wuchs aus deinem Herzen hervor, diese Reben blühten schnell und bekamen fast eben so schnell große schwarze Trauben. Da kamen eine Menge Leser und Leserinnen vom Thal herauf, angeführt durch einen gräm- lichen alten Gesellen, nahmen ihre Hippen aus den Taschen und wollten anfangen die Trauben dir von den Fingern zu schneiden. Vergebens wollte ich eine Bewegung machen, um sie abzuhaltn, eine übermächtige Gewalt drückte mich an den alten Birnbaum an. Von den Zweigen des Baumes aber ertönte ein wüster Gefang wie von tausend Betrunkenen. Die Leser kamen heran, und der alte Geselle, der ein grünes Wammes anhatte, als wäre er ein Jäger, schnitt dir eine Traube nach der andern von den Händen ab. Du stießest bei jedem Schnitte Seufzer aus, er aber kelterte mit wilder Lust die schwarzen Trauben und verschlang den blutrothen Saft, der aus ihnen quoll. Dein Antlitz wurde immer blasser und schwächer, als die Leser aber an den Rebstock gehen wollten, der dir aus dem Herzen entsproßte, da ermanntest du dich, dein Gesicht röthete sich, dein Auge strahlte festen Muth, und du schlugst den Alten zurück, daß er die Staffeln hinabtaumelte. Die ganze Rotte trollte sich jetzt den Berg hinunter, riß aber alle Reben aus und zerwühlte im Gehen den Boden. Im Wimpel des Baumes erscholl ein heiseres Hohngelächter; ich fiel auf die Kniee nieder, und rief zu Gott, daß er unser einziges Gut verschone; da erwachte ich.

Michel umarmte sein Weib zärtlich und tröstete sie.

– Es ist gewiß nichts hinter diesem Traume, sagte er; das Blut ist dir eben zu Kopfe gestiegen, nimm etwas von der stärkenden Arznei, die der Doctor gestern verschrieben hat.

Das Kätterlein nahm die dargebotene Arznei, schüttelte aber, was den Traum betraf, unruhig den Kopf.

– Mein Michel, ich kenne meine Träume und fürchte mich. Das war kein gewöhnlicher Traum. Hüte dich und nimm dich in Acht; wir sind wohlhabend gewesen und arm geworden; ich sage dies nicht als Vorwurf, du weißt es, gewiß nicht als Vorwurf, aber wenn man arm wird, da hat der böse Feind Gewalt über einen Menschen, glaube mir.

– Ich habe Courage und fürchte mich vor dem Teufel nicht, entgegnete Michel mit Zuversicht, indem er seinem Weib die Hand drückte; ich bin arm geworden, aber jezt kann ich ja Taglohnen, Zeit hätte ich schon dazu und stark und kräftig bin ich auch.

Da klopfte es wieder an’s Fenster. Michel öffnete und der Büttel streckte seine lange Nase herein.

– Nun du lässest auf dich warten, mahnte der Büttel; es geht ja nicht in’s Rathhaus.

Empfohlene Zitierweise:
Kaspar Braun, Friedrich Schneider (Red.): Fliegende Blätter (Band 2). Braun & Schneider, München 1846, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Fliegende_Bl%C3%A4tter_2.djvu/150&oldid=- (Version vom 9.5.2024)