Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 10 (1914).djvu/102

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

ihren Mann los werden wollen, dann würde sie zunächst diesen Versuch unternommen haben. Die Beweisaufnahme hat ohne Zweifel ergeben, daß der ermordete Rosengart eine große Anzahl Feinde hatte und viele Drohbriefe erhalten hat. Der Herr Erste Staatsanwalt hat diese Drohbriefe für eine Vorbereitung gehalten, weil die Briefe nicht mehr vorhanden seien. Ich behaupte, wären die Drohbriefe vorbereitet gewesen, dann hätte die Angeklagte sie aufgehoben. Ja, ich behaupte: Wäre nur ein einziger Drohbrief vorhanden, der Herr Erste Staatsanwalt würde daraus zweifellos erst recht gefolgert haben, daß die Drohbriefe vorbereitet waren. Ich bin aber der Meinung: Rosengarts haben gehandelt wie alle vernünftigen Menschen, die anonyme Drohbriefe zumeist ungelesen als verächtliche Wische in den Papierkorb werfen. Jedenfalls ist der Mörder nicht im Inspektorhause zu Ernsthof, sondern unter den Schreibern der Drohbriefe zu suchen. Die Amanda Eggert, die zweifellos einen glaubwürdigen Eindruck machte, hat bekundet: sie habe kurz vor dem Schuß zwei Stimmen im Hofe flüstern gehört. Meine Herren! Nur der Theatermörder, wie Tell, ergeht sich vor dem Morde in Monologen. Bürgerliche Mörder im praktischen Leben halten keine Monologe. Wenn also die Bekundung der Eggert wahr ist, dann haben zwei Personen die Mordtat begangen, und alsdann ist Rieß nicht der Mörder.

Der Herr Erste Staatsanwalt hat Herrn Referendar a. D. Wolff der unstatthaften Zeugenbeeinflussung geziehen. Die Verhandlung hat aber nicht eine einzige Tatsache dafür ergeben. Ich fühle mich verpflichtet, Herrn Referendar Wolff, der noch vor wenigen Monaten unter dem Amtseide stand und von uns als Kollege angeredet wurde, in Schutz zu nehmen. Daß Herr Referendar Wolff das Zeugnis der Frauen Busch und Ziegran zur Anzeige gebracht hat, ist ihm doch gewiß nicht zum Vorwurf zu machen. Ich bin der Meinung, hätte Herr Referendar Wolff diese Anzeige unterlassen, dann würde er sich einer groben Pflichtverletzung

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)