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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

mußte abends allein nach Hause fahren, da meine Mutter auf Wochen dort bleiben sollte. Der Zufall wollte es, daß Herr Dr. Sternberg den gleichen Zug zur Rückkehr von seinen Ausfluge nach Berlin benutzte, wie ich, und so war bald eine Unterhaltung angeknüpft und weitergesponnen, da mich die Zufälle belustigten. Wir erzählten uns allerlei lustiges Zeug, und er brachte mich nach Hause. Beim Verabschieden die übliche Bitte um ein Wiedersehen, die sonst stets prompt von mir mit Lachen zurückgewiesen, war diesmal nicht vergebens, da mir seine zwanglose, natürliche Art riesig imponiert hatte. Ich verabredete tatsächlich ein Stelldichein mit ihm. Aber bereits in meiner Wohnung angekommen, ärgerte ich mich über mein Nachgeben und setzte mich sofort, nachts um 12 Uhr, noch hin und schrieb ihm wenige freundliche Zeilen, daß ich kein Wiedersehen wünsche, und brachte den Brief sofort zum Kasten. Ich war sehr stolz auf meine Überwindung, die im Grunde genommen eine sehr kleine war, da es mich nie schmerzte, kleine Abenteuer zu unterlassen.

Ich kann nicht sagen, daß ich je von Liebessehnen belästigt worden bin. Vielleicht lag es daran, daß man mir schon als dreizehn-, vierzehnjähriges, stark entwickeltes Mädchen nachgestellt und ich stets, wo ich auch hinkam, durch meine tolle Ausgelassenheit und schäumende Jugendlust einerseits und reifere Denkungsart andererseits zum Mittelpunkt des Interesses der Herren wurde, was mir ja a tempo die Wut und Eifersucht der Mädchen, ja Frauen eintrug, daß sich der Reiz des Umschwärmtwerdens sehr bald bei meiner nicht vorhandenen Arroganz vollkommen verlor, ich den Herren nicht als Dame, sondern den Menschen als wilder Übermut gegenüberstand. Es hätte wohl kaum eine angeregte Dummheit gegeben, der ich mich nach Aufforderung zur Beteiligung widersetzt hätte. Ich drängte mich nie Menschen auf, sondern wartete stets, selbst jüngeren gegenüber, bis man zu mir kam. Es geschah dies tatsächlich

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/216&oldid=- (Version vom 15.2.2023)