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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

so reichlich zu verzeichnen hatte. Ich kannte seine große Nervosität und seine starke Abneigung gegen Tratsch und Gewäsch, daß ich ihn nie hätte belästigen mögen. Ich war stets aufrichtig bemüht, ihm, so gut ich konnte, angenehme Gesellschafterin und Unterhaltung zu sein.

Unser Verkehr war uns beiden das naturgemäße Empfinden zweier Menschen, die, gesund und erwachsen, sich recht liebhaben. Er entbehrte jeder niederen Gesinnung zu irgendwelchen gemeinen Handlungen. Es war ein nicht alltägliches „Verhältnis“, sondern ein freies, sich gegenseitig Gutes und Liebes tun und stets aufeinander Rücksicht nehmen. Unsere Liebkosungen waren zahlreich, aber nicht auf geschlechtliche Erregung berechnet. Im übrigen war unser Geschlechtsverkehr normal und ruhig.

Über ihre Beziehungen zu Georg Reimann schrieb Hedwig Müller: Im Januar 1912 wurde ein neuer Bote bei meiner Firma eingestellt. Wir hatten bisher immer ein recht übles Menschenmaterial in dieser Stelle gehabt, aber ich war mit allen fertig geworden. Nun kam plötzlich ein manierliches Bürschchen, glatt und behende, und man freute sich bald allgemein über den ganz amüsanten, netten Jungen. Er begriff äußerst schnell, war zu allen Verrichtungen bereit und willig. Selbst Privatbesorgungen für sämtliche Angestellte erledigte er zu steter Zufriedenheit. Die meiste Zeit verbrachte ich mit ihm zusammen, da ich allein mit ihm meinen Platz im Packraum hatte. Ich merkte sehr bald, daß ich mir diesen Jungen nicht erst gefügig machen brauchte, denn ich hatte mitunter Wünsche oder Anordnungen kaum ausgedacht, so waren sie schon gemacht. Er erriet förmlich meine Gedanken, um sie auszuführen. Er naschte gern Süßigkeiten und kaufte sich täglich bestes Konfekt, ließ aber stets die Tüte von mir öffnen und den Inhalt anreißen. Kurz gesagt, er war ein Mittelding zwischen Kavalier und Pagen; ich fühlte mich genötigt, ihm öfter Belohnungen in Gestalt von Schokolade oder Obst zukommen

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/218&oldid=- (Version vom 15.2.2023)