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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

zweifellos hervorrufen. Die Angeklagte hat also während des Schießens schon in einem Dämmerzustand sich befunden und damit in einem Zustande der Geistestätigkeit, der die freie Willensbestimmung ausschloß.Vors.: Vielleicht erweitern Sie Ihre Ausführungen noch nach der Richtung, ob ein normaler Mensch in einer solchen Situation, wie die Angeklagte, sich anders benehmen würde, oder ob nicht auch ein normaler Mensch starr vor Entsetzen über das Geschehene dastehen würde. – Sachverständiger Dr. Cohn: Ich habe einen normalen Menschen in solcher Situation noch nicht gesehen. Wenn eine Person in solchem Zustande sich befindet, wie die ersten drei hinzueilenden Zeugen die Angeklagte gefunden haben, würde ich sagen: Es handelt sich nicht um einen normalen Menschen, sondern um Dämmerzustand. – Vors.: Aber es kann doch, wie wir in einem anderen Prozesse gehört haben, eine solche Tat auch aus normalen Motiven heraus erfolgen, und wenn sich der Betreffende an Einzelheiten noch erinnert, ist keine Geistesstörung anzunehmen. – Staatsanwaltschaftsrat Dr. Gysae: Schließt ein solcher Dämmerzustand nicht aus, daß die betreffende Person nach kurzer Zeit so viele Einzelheiten über die Vorfälle erzählt, wie es die Angeklagte den drei Zeugen gegenüber getan hat, die sie zuerst nach der Tat befragt haben? – Sachverst.: Nein, das schließt sich nicht aus, – Staatsanwaltschaftsrat Dr. Gysae: Ist die Angeklagte in ihrer schweren Hysterie gemeingefährlich? Sie könnte doch jeden Augenblick solche Tat wiederholen. Ich denke da an eine von dem Sachverständigen veröffentlichte Schrift: „Schutz der Allgemeinheit gegen Geisteskranke.“ – Sachverst.: Bei solchen Hysterischen liegt es ähnlich wie bei Trunksüchtigen und Epileptischen, die an sich auch nicht für gemeingefährlich gelten können. – Justizrat Friedmann: Hält es der Sachverständige nicht für viel wahrscheinlicher, daß ein Dämmerzustand vorlag und nicht bloß eine Aufgeregtheit der Angeklagten? – Sachverst.: Jawohl.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/254&oldid=- (Version vom 5.3.2023)