Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 10 (1914).djvu/263

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

mehr, als sie sagen will. Man kann sich die Vorgänge an dem Orte der Tat recht klar zeichnen. Der Mann, der vorher schon sich gemein und bedrohend gezeigt hat, der wird sie bei dem Geplänkel um den Brief in derselben Weise beschimpft und schlecht gemacht und den aufgespeicherten Zorn entladen haben. Und da setzte die Angeklagte die Waffe dem jungen Manne an den Hinterkopf, gab zwei Schüsse auf ihn ab und den dritten auf sich selber, der bei ihrer Aufregung sein Ziel verfehlte. Alsdann stand sie da in voller Verzweiflung, als sie dies Furchtbare erlebt hatte. Der altbewährte und zuverlässige Medizinalrat Dr. Hoffmann, der die Obduktion vorgenommen, hat klipp und klar erklärt, daß nach dem Ergebnis der Obduktion

ein Selbstmord ausgeschlossen

ist. Auch die Möglichkeit, daß beim Ringen die tödlichen Schüsse losgegangen sein sollten, ist undenkbar, alle sonst vorgeführten Möglichkeiten erscheinen absurd. Wenn Justizrat Friedmann die Möglichkeit, daß der Getötete sich beim Hinfallen gedreht habe, durch den Hinweis bekräftigen wollte, daß eine solche Drehung auch bei den auf dem Theater „Sterbenden“ üblich ist, so stimmt dies nicht, denn auf dem Theater erfolgt diese Umdrehung, weil man den Schauspieler nicht in der schwierigen Lage lange liegen lassen will. Ein altes Wort sagt: „Die Szene wird zum Tribunal.“ Hüten Sie sich aber, auch hier die Szene zum Tribunal werden und einen Theatergebrauch als Beweis dienen zu lassen. Denken Sie auch an das ganze Verhalten der Angeklagten nach der Tat, an ihre Bemerkungen, die sie dem Polizeibeamten machte, als sie zur Haft gebracht wurde. Solche Witze und solche Bemerkungen wird in einem so bedeutungsvollen Moment doch gewiß kein Mensch machen, der sich unschuldig fühlt, selbst wenn man einen guten Prozentsatz von den schnoddrigen Berliner Redensarten in Abzug bringt. Alles, was die Angeklagte über die Vorgänge bei der Tat gesagt hat, ist nach meiner festen

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/263&oldid=- (Version vom 7.3.2023)