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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

sie sich nicht immer so brav und gebildet unterhalten wollte, wie mit Dr. St. Sie sagte selbst: Eine Doppelnatur wohne in ihr, wie ja wohl in jedem Menschen etwas von einer solchen steckt. Sie liebte es, sich mit Reimann etwas nachlässiger und weniger ernst zu unterhalten. So kam eine gewisse Neigung zu ihm. Bei Dr. St. hatte sie einen gewissen Respekt zu bewahren, bei dem jungen Menschen war sie die Königin allein. Dieses Doppelspiel war eine Lage, der sie nicht gewachsen war, denn nun zeigte sich Reimann von der schlechten Seite. Er hatte sie, nach dem letzten Brief zu urteilen, auf alle Art bedroht und geängstigt. Bei ihrer hysterischen Natur entschloß sie sich zu dem Schritt, der sie von dieser Fessel befreien sollte. In dieser Verfassung hat sie die Tat begangen, die die Herren Geschworenen als Totschlag erkannt und für die sie ihr mildernde Umstände bewilligt haben. Danach hat der Gerichtshof, in Erwägung, daß sie trotz ihrer Intelligenz eine mangelhafte moralische Bildung besaß und sich in einer Notlage befand, da sie ein Erpresser in[WS 1] ihre Gewalt gebracht hatte, in fernerer Erwägung, daß sie geistig dem Dr. St. nahe-, moralisch aber dem Reimann näherstand, gemeint, eine Strafe mittlerer Art verhängen zu sollen.

In Erwägung aller dieser Umstände hat der Gerichtshof auf zwei Jahre und sechs Monate Gefängnis erkannt, wovon sechs Monate auf die Untersuchungshaft angerechnet werden. –

Die Angeklagte nahm das Urteil mit ziemlichem

Gleichmut entgegen.

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  1. Vorlage: in in
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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/269&oldid=- (Version vom 7.3.2023)