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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10

halte, daß Ärzte materieller Vorteile wegen, geistig Gesunde in Irrenanstalten schicken und Irrenhausärzte geistig Gesunde in Irrenhäusern festhalten, so herrscht jedenfalls im Volke vielfach ein großes Mißtrauen gegen das Irrenhauswesen. Die ungeheuerlichen Vorkommnisse im Alexianerkloster „Mariaberg“, an denen die dort angestellten Ärzte Sanitätsrat Dr. Capellmann und Dr. Chantraine und auch der damalige Aachener Kreisarzt, Geh. Medizinalrat Dr. Kribben, einen ganz wesentlichen Teil der Schuld trugen, aber auch verschiedene Vorkommnisse in anderen Irrenanstalten haben dies Mißtrauen erzeugt. Es ist dringend notwendig, gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, daß die Überführung geistig Gesunder in eine Irrenanstalt nicht mehr möglich ist. Andrerseits sind gesetzliche Bestimmungen erforderlich, die die rechtzeitige Überführung gemeingefährlicher Geisteskranker in eine geschlossene Irrenanstalt und deren dauernde Festhaltung zur Pflicht machen. Wenn das Gericht einen Angeklagten freisprechen muß, weil es die Überzeugung erlangt hat, daß zur Zeit der Tat die freie Willensbestimmung des Angeklagten ausgeschlossen war, so verläßt dieser, alsdann doch offenbar gemeingefährliche Geisteskranke, die Anklagebank und kann im nächsten Augenblick dasselbe Verbrechen begehen. Der Gerichtshof muß das Recht, ja die Pflicht haben, einen Angeklagten, den er auf Grund des § 51 des Strafgesetzbuches freispricht, ohne Verzug in eine geschlossene Irrenanstalt überführen zu lassen. Es gibt Verbrecher, die, sobald sie in Freiheit sind, alle möglichen Verbrechen begehen, weil sie den Irrenschein in der Tasche haben. Diese Leute sagen sich: Wenn ich gefaßt werde, so kann mir ja nichts weiter passieren, ich muß auf alle Fälle freigesprochen werden. In den Vorstadtkneipen Berlins wird von Komikern schon seit Jahren ein Lied mit folgendem Schlußrefrain vorgetragen:

„Gott schütze die Psychiater und erhalte uns den Paragraphen 51.“

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 10. Hermann Barsdorf, Berlin 1914, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_10_(1914).djvu/271&oldid=- (Version vom 3.10.2022)