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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

den Verfasser mitgeteilt habe. – Oberstaatsanwalt: Ich habe nichts weiter anzuführen, glaube aber, daß dem Angekl. v. Lützow das Material noch zeitig genug in die Erinnerung gebracht werden wird. – Als erster Zeuge wird der Berichterstatter des Wolffschen Bureaus, de Grahl, vernommen: Das Wolffsche Bureau hatte ein Interesse daran, die Depesche über den Verlauf des Diners sobald wie möglich in einem Vorbericht zu erhalten. Er habe, als der Zar seine Tischrede mit ziemlich leiser Stimme hielt, geglaubt, verstanden zu haben „que mon père“. Der Ausdruck erschien ihm im ersten Augenblick etwas fremdartig, ob- gleich er wußte, daß auch Kaiser Alexander III. bei einer Tischrede die Worte des Kaisers Wilhelms I. ähnlich mit einem Hinweis auf die traditionellen Freundschaftsbeziehungen zwischen beiden Höfen erwidert hatte. Er (Zeuge) habe zu seiner Sicherheit den Stenographen gefragt, der die Worte ebenso verstanden zu haben glaubte; er habe dann jedoch versucht, Herrn v. Lucanus zu sprechen, was ihm aber nicht sofort gelang. Die Feststellung solcher Tischreden allerhöchster Personen geschehe niemals durch das Hofmarschallamt, sondern durch das Zivilkabinett. Er sei an jenem Tage sehr abgespannt gewesen und habe zu seinem großen Bedauern den Fehler begangen, den von ihm verstandenen Text in dem Vorbericht hierher zu telegraphieren. Er habe aber sofort, als er den richtigen Text erhielt, diesen ohne jeden Verzug seinem Bureau übermittelt. – Durch Befragen des Rechtsanwalts Dr. Lubcezynski wurde festgestellt, daß das Wolffsche Bureau den Wortlaut einer Kaiserrede niemals erhält, ehe sie nicht dem Geheimen Zivilkabinett vorgelegen hat und daß es das erstemal war, daß der Zeuge in dieser Form selbständig einen Vorbericht über eine Kaiserrede telegraphierte – Der Verteidiger erklärte es für sonderbar, daß in einer so hochpolitischen Angelegenheit Herr v. Lucanus und der Zeuge, die doch dabei aufeinander angewiesen seien, sich vor Absendung des Telegramms

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/156&oldid=- (Version vom 1.11.2023)