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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4

es fehlte noch eine Arrestzelle, ebenso eine Badeeinrichtung, eine Bibliothek, auch eine Instruktion hatte man noch nicht. Leiter wurde Pastor Breithaupt, dem man übrigens den Titel „Pastor“ zu Unrecht gibt, da er nie ordiniert worden ist. Er selber suchte sich seine Gehilfen, und er machte es wie der König im Evangelium, der die Gäste von der Straße lud, gute und schlechte. Was Breithaupt fand, waren vielleicht Männer von gutem Willen, aber keine Erzieher. Schiffbrüchige waren darunter, Leute, die durch Trunk oder Straftaten nach Hoffnungsthal geraten waren und von da als Erzieher für Mieltschin geworben wurden. An ihre Spitze trat Breithaupt, von den Unfähigen der Unfähigste, ein Mann, der keinerlei Vorbildung für sein schweres Amt mitbrachte, weil er nie im Fürsorgeerziehungswesen ausgebildet worden war. Auch seiner ganzen Persönlichkeit nach war er ungeeignet. Zu solchem Beruf gehört viel Geduld und gar keine Nerven, bei Breithaupt aber war es umgekehrt, er hatte gar keine Geduld und viel Nerven. Er ließ sich von seinem Temperament hinreißen, und so sind die Mißhandlungen zu erklären. Er beging sie im Jähzorn und in Wut. Dem ganzen Fürsorgewesen hat er unersätzlichen Schaden zugefügt, denn die Vorgänge in Mieltschin sind unverdient auf alle anderen Fürsorgeerziehungsanstalten zurückgefallen. Unverdient haben auch die Anstalten Bodelschwinghs sich Breithaupt und Engels an die Rockschöße hängen lassen müssen. Beide hatten mit Bodelschwinghs Anstalten nicht das geringste zu tun, denn sie waren längst aus ihnen entlassen, als sie nach Mieltschin gingen. Breithaupt wurde entlassen wegen eines nicht ganz aufgeklärten Vorkommnisses, und Engels schied aus, weil ihm die Freudigkeit zu seinem Berufe fehlte. So waren die Zustände in Mieltschin und die leitenden Personen, als die ersten Lichtenberger schweren Jungen kamen. Die Anstalt Lichtenberg beherbergt die üppigsten Pflanzen aus dem Sumpf der Großstadt. Wenn auch nicht gerade die schlimmsten für Mieltschin

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 4. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_4_(1911).djvu/286&oldid=- (Version vom 19.12.2023)