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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

suche: es könnten ihm aus irgendeiner Volksbewegung Gefahren erwachsen! Daß der Kaiser, der die verschiedensten Dienstgeschäfte zu erledigen habe und kaum Zeit finde, eine Zeitung vollständig zu lesen, auf Informationen angewiesen sei, sei ganz selbstverständlich. Auch im einzelnen sei in den Artikeln keine Majestätsbeleidigung enthalten. Es sei vollständig falsch, anzunehmen, die Sozialdemokratie habe eine Vorliebe für Majestätsbeleidigungen. Dies erinnere ihn an die Christenverfolgungen unter Nero. Die Sozialdemokratie kämpfe nicht gegen Personen, sondern gegen das System. Der „Vorwärts“ habe mehrfach vor der Begehung von Majestätsbeleidigungen gewarnt. Wenn trotzdem so verhältnismäßig viel Majestätsbeleidigungen begangen werden, so verschulde dies der Umstand, daß jeder Mensch, mit Rücksicht auf den § 95 des Strafgesetzbuches, den Staatsanwalt fürchte, wenn er nur vom Kaiser spreche. Deshalb werden vielfach andere Namen genannt, um den Kaiser zu bezeichnen. Von einer öffentlichen Beunruhigung könne gewiß in den Artikeln keine Rede sein. Bezüglich der angeblichen Beleidigung des Hofmarschalls v. Trotha sei dem Angeklagten Kaliski zum mindesten der § 193 des Strafgesetzbuches (Wahrnehmung berechtigter Interessen) zuzubilligen, denn der „Vorwärts“ sei genötigt gewesen, sich zu rechtfertigen. Man werde nicht leugnen können, daß der „Vorwärts“ das Schriftstück erhalten habe von einer intriganten Persönlichkeit, die zweifellos den Hofkreisen näher stehe, als der „Vorwärts“. Die Schale des Zornes müsse sich daher gegen diese intrigante Persönlichkeit richten, die vielleicht weniger die Absicht hatte, den „Vorwärts“ hineinzulegen, als ihrem Unmut über gewisse Vorgänge Ausdruck zu geben. Wenn die Entrüstung sich gegen diese Persönlichkeit richte, dann habe dies seine Zustimmung. Der Verteidiger schloß mit dem Antrage auf Freisprechung beider Angeklagten, eventuell seien dem Angeklagten Kaliski mildernde Umstände zuzubilligen. – Verteidiger Reichstags-Abg.

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/103&oldid=- (Version vom 1.8.2018)