Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 6 (1912).djvu/325

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6

Sie rief mit lauter Stimme: „Vater, Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, da sauste das haarscharfe Messer hernieder‚ das glatt den Kopf vom Rumpfe trennte. – Scharfrichter Brandt rief: „Herr Staatsanwalt, das Urteil ist vollstreckt.“ Das Gerichtsgebäude war trotz der frühen Morgenstunde während der Hinrichtung von einer ungeheuern Menschenmenge umlagert. – Zwei Tage vor der Hinrichtung traf die Mutter der Mörderin, Frau Bürgermeister Beier, die eine zweijährige Zuchthausstrafe in Waldheim verbüßte, in später Nachmittagsstunde in Begleitung von zwei Gefängnisbeamten im Freiberger Gerichtsgebäude ein. Sie wurde zu ihrer Tochter in die Zelle geführt. Der Abschied zwischen Mutter und Tochter war herzzerreißend. – Durch die Güte des Herrn Staatsanwalts Dr. jur. Ernst Rosenfeld am Landgericht Berlin I bin ich in der Lage, aus dem „Archiv für Kriminalanthropologie“ folgendes über den Gemütszustand der Grete Beier kurz vor ihrer Hinrichtung aus der Feder ihres Verteidigers, des Herrn Rechtsanwalts Dr. Knoll (Dresden), mitzuteilen: „Grete Beier ging ruhig und gefaßt zur Richtstätte. Ebenso ruhig hatte sie zwei Tage vorher die Mitteilung des Staatsanwalts von der bevorstehenden Hinrichtung entgegengenommen. Man hat hie und da diese Ruhe eine unnatürliche, eine unheimliche, auf Verstocktheit des Charakters hindeutende Ruhe genannt. Wer das sagt, der irrt. Grete Beier hat eine ähnliche Ruhe bereits in der Hauptverhandlung zur Schau getragen. Sie hatte mir vorher in mehrtägigen und vielstündigen Unterredungen in ihrer Zelle aus eigener Entschließung ihr unumwundenes Geständnis in die Feder diktiert. Sie wußte weiter aus meinen Aufklärungen, daß die Gnade in der freien Hand des Staatsoberhauptes liegt und daß ihr diese niemand verbürgen konnte. Gleichwohl hatte das Bewußtsein, durch das Geständnis die Last von ihrem Gewissen abgewälzt zu haben, eine geradezu herzerhebende Ruhe und einen wahren Seelenfrieden

Empfohlene Zitierweise:
Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 6. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_6_(1912).djvu/325&oldid=- (Version vom 1.8.2018)