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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8

Der Angeklagte kam an einem Sonntag abend in die glänzenden, hell erleuchteten Räume des Castanschen Panoptikums. In welcher Tracht? Mit einem alten, fast defekten Mantel angetan, mit großen Wasserstiefeln und die Hosen in die Stiefeln gesteckt. Daß er in solchem Aufzuge die Aufmerksamkeit im Panoptikum erregt hat, ist begreiflich. Wenn der Angeklagte mit der Absicht das Panoptikum besucht hätte, einen Taschendiebstahl auszuführen, dann hätte er sich wohl anders gekleidet. Daß der Angeklagte, nachdem er nunmehr fast 60 Jahre alt geworden, plötzlich Gelüste bekommen sollte, sich an einem Portemonnaie zu bereichern, ist nicht gut anzunehmen. Daß die Hauptbelastungszeugen nicht vollen Glauben verdienen, ist selbstverständlich. Jedenfalls ist die Hauptbelastungszeugin nicht als eine vestalische Jungfrau anzusprechen. (Heiterkeit.) Das Hauptbelastungsmoment bleibt immer der gestohlene Gegenstand selbst und dieser ist bei dem Angeklagten nicht gefunden worden. Ich stelle deshalb dem hohen Gerichtshofe die Freisprechung anheim. – Verteidiger Rechtsanwalt Holthoff: Ich bin dem Herrn Staatsanwalt sehr dankbar, daß er der Verteidigung die Sache so leicht gemacht hat. Daß Meineide in dieser Sache geleistet worden sind, steht fest. Ich will jedoch nicht noch einmal darauf zurückkommen, da ich der festen Meinung bin, der hohe Gerichtshof ist von der Unschuld des Angeklagten überzeugt. Ich glaube, die Verhandlung hat objektiv und subjektiv nicht den geringsten Anhalt für die Schuld des Angeklagten ergeben. Ich schließe deshalb mit der Bitte, den Angeklagten freizusprechen. – Nachdem noch der Verteidiger, Justizrat Primker, in längerer Rede für die Freisprechung des Angeklagten plädiert hatte, erkannte der Gerichtshof nach kurzer Beratung auf Freisprechung mit der Begründung: Der Gerichtshof hat aus der Verhandlung die volle Überzeugung gewonnen, daß der Angeklagte den ihm zur Last gelegten Diebstahl nicht begangen habe. –

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 8. Hermann Barsdorf, Berlin 1913, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_8_(1913).djvu/59&oldid=- (Version vom 1.5.2023)