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Waren also seine Erfolge immer erfreulich, so war doch das Streben nach einem festen Wirkungskreise, wo er seine vielseitige Bildung so recht entfalten konnte, also etwa als Opern- und Kirchendirigent oder fest angestellter Lehrer an einem Institut, noch nicht erfüllt worden.

Doch bald sollte eine interessante Wendung in seinem Leben eintreten. Die obengenannten hohen Protektoren hatten schon längst den Plan gehabt, das Talent Reissigers dem preußischen Staate irgendwie nutzbar zu machen. Die Regierung beschäftigte sich gerade jetzt ernstlich mit dem Gedanken einer staatlichen Fürsorge für das Musikbildungswesen, was auch wir heute noch hoch anerkennen müssen. Für die Musik hat man in Preußen schon immer von Staats wegen mehr als anderswo getan. Schon 1821 wurde z. B. Stöpel, ein bekannter Schriftsteller und Lehrer, von der preußischen Regierung nach London geschickt, um das neue Musikbildungssystem von Logier zu prüfen, worauf Logier später selbst nach Berlin berufen wurde. (Bekanntlich benutzte Richard Wagner für seine ersten theoretischen Studien auch das System Logier.) Auch Karl Loewe prüfte 1823 im Auftrage das System, um darüber zu berichten. Jetzt, 1824, wollte man gern zu dem erstgenannten Zwecke Vorbilder studieren. Das konnte man aber nur im Auslande, denn Deutschland hatte noch keine Konservatorien. Das klassische Land der Konservatorien ist Italien; als erstes Konservatorium außerhalb Italiens wurde das Pariser gegründet (1784). 1811 folgte Prag, 1813 Brüssel, 1817 Wien.

Zu einer Studienreise auf Staatskosten hatte man nun sein Augenmerk auf Reissiger gerichtet, welcher schon selbst immer danach getrachtet, hatte, zur Erweiterung seines Horizontes, gewissermaßen als letzte Krönung seines, wie wir wissen, guten Bildungsganges einmal eine größere Auslandsreise zu unternehmen. Die Herren von Altenstein, Witzleben, Körner regten ihn daher an, eine Eingabe an den König wegen der Bewilligung des Geldes zu machen. Dieses Gesuch wollten sie dann befürworten mit dem Hinweis, daß Reissiger gleichzeitig für den preußischen Staat genaue Einsicht in das Musikbildungswesen des Auslandes nehmen könnte. Reissiger machte die Eingabe an den König in diesem Sinne[1]. In der Befürwortung spricht sich von Altenstein folgendermaßen aus, um die allerhöchtse Aufmerksamkeit auf Reissiger zu lenken: „Es ist sehr selten, daß sich alle diese Eigenschaften (lobenswerte Bescheidenheit, Eifer für die Kunst sind vorher erwähnt) eine solche natürliche Anlage und eine so vollkommene Ausbildung nach allen Richtungen bei einem jungen Manne mit einem solchen musikalischen Wert vereinigt finden. Vorzüglich in den beiden letzten Beziehungen ist er für das Ministerium von großem Wert, da sich in ihm ein Mann erwerben läßt, der einst an die Spitze der Zentralanstalt gestellt werden kann, welche vorzüglich zur Ausbildung für die höhere Musik wirksam ist. Daß er eine solche vielseitige Ausbildung, sowohl für den kirchlichen, als auch für den Theaterstil hat, ist höchst wichtig, um bei dieser höheren Anstalt eine gewöhnlich höchst nachteilige Einseitigkeit zu verhindern. Seine große Lehrgabe und seine moralische Haltung werden ihn ganz vorzüglich zur


  1. Alle Akten, die R.s Verhandlungen mit der preußischen Regierung betreffen, sind im Kgl. Geh. Staatsarchiv Berlin (Repositur 76 VIII Sect. I 72) aufbewahrt.