Seite:Heft26VereinGeschichteDresden1918.pdf/59

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

den 20. Mai nach Neapel zu gehen und mich bei meiner Ende Juni erfolgten Rückkehr nur noch wenige Zeit hier zu verweilen, um die Hauptstücke meiner Oper zu skizzieren und soweit zu fertigen, daß ich sie in Deutschland nur zu instrumentieren brauche, obwohl ich noch nötig habe, über einige Kleinigkeiten mit Döring zu korrespondieren, wenn ich ihm näher sein werde. Kleins[1] werden bis zum 16. Mai zurück erwartet, und ich bewohne jetzt ihre Zimmer. Glücklich in dem Umgange mit talentvollen Landsleuten und anderen Künstlern, die mit mir die Sehenswürdigkeiten beschauen und mich dieselben von der wahren Seite anschauen lehren, so daß ich mir ordentlich auf meine Erfahrung und meinen Kennerblick in Kunstsachen aller Art etwas einbilden kann!!! Thorwaldsen ist mein Tischgenosse, und ich besuche ihn oft in seinem Atelier.“

Ende Oktober 1825 verließ Reissiger Rom und kehrte über Loreto, Bologna, Padua, Venedig, Triest, Wien, Prag nach einundeinhalbjähriger Abwesenheit nach Berlin zurück. Eine inhaltvolle Zeit hatte der Künstler hinter sich. Die Reise hatte der unermüdlich Strebende verstanden, sich tatsächlich zur Krönung seines Bildungsganges werden zu lassen. So hatte auch er, wie so unendlich viele deutsche Komponisten, im Auslande einen wertvollen Fonds an Anregungen für das eigene Schaffen gewonnen. Wenn auch die ausländische Musik zu dieser Zeit in jedem Lande fast nur in einem Zweig tatsächlich vorbildlich war – in Frankreich war es vor allem die komische Oper, welche vor den anderen Gattungen im Augenblick den Vorrang hatte, in Italien, dem Lande der Melodie, die virtuose Violin- und Gesangsmusik, während z. B. in der Kirchen-, Kammer-, Orchestermusik Tiefstand herrschte, so war dies für den vergleichenden Deutschen gerade um so lehrreicher, als durch Kontraste das Gute leichter herauszufinden Dazu kommt, daß er die Sachen von den nationalen Kräften, für die sie geschrieben waren, dargeboten hörte, dabei auch Werke, die über die Grenze ihres Entstehungslandes noch nicht hinausgedrungen waren, kennen lernte. Wie das Ausland auf Reissiger gewirkt, werden wir bei seinem Schaffen zu berühren haben. Auffällig ist, daß Reissiger gar keine besonderen Lobeserhebungen über die Musik der Sixtinischen Kapelle in Rom verlauten läßt, die er ja auf jeden Fall gehört hat. Er schreibt nur, daß er viel Gutes gehört hat. Es wird ihm ähnlich gegangen sein wie den anderen deutschen Künstlern: er war enttäuscht[2]. Durch die vielen für ihn wertvollen Bekanntschaften ist ferner der Reisebriefwechsel über seine Zeit hinaus interessant geblieben. Die Reise selbst aber stellt, da sie im Auftrage der Regierung geschah, mit dem Zwecke, für die Errichtung eigener Musikbildungsanstalten Erfahrung fremder Institute zu sammeln, den ersten Schritt zur Verstaatlichung von Konservatorien in Deutschland dar.

In Berlin angekommen, arbeitete Reissiger sogleich den umfassenden Plan für eine schon lange beabsichtigte Neuorganisation der Berliner Musikhochschule


  1. 1739 – 1832 beachtlicher deutscher Kirchenkomponist. Hauptwerke: die Oratorien „David“ und „Hiob“. Er wurde 1826 R.s Kollege in Berlin.
  2. Vgl. Dresdner Morgenzeitung 1828 Nr. 13, Bruchstücke aus Briefen von v. Raumer betr. eine Reise durch Deutschland, die Schweiz und Italien, 1816/17, worin gesagt wird, es wäre übertrieben, die Sixtinische Kapelle über die Berliner Singakademie zu stellen; d. h. also, daß die Musik in der Sixtinischen Kapelle lange nicht so bedeutend war, als wie man immer erzählt.