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Mittwoch, 12. September.

Die Militärdurchzüge dauern fort, von Frieden noch gar keine Rede. „Denken?“ „Die denken gar nicht, am wenigsten an uns.“


Donnerstag, 13. September.

Nichts Bemerkliches.


Freitag, 14. September.

Fölsch besucht mich auf der Durchreise von Wien. Maskenball in der Nacht des 3. Juli wird fortgesetzt, trotzdem daß um 11 Uhr die Depesche von der verlorenen Schlacht eintrifft. Am selben Tage früh großer Bittgang mit der Erzherzogin Sophie und ihrem alten blöden Troddel[1]. Erzherzog ist am Kopfe verwundet worden, sagen die Wiener: S’ ist nur gut, daß wenigstens einer einen offenen Kopf hat[2]. – Der Maximilian macht die Wilden zahm, der Franz Joseph die Zahmen wild. –

In Berlin tauchen gelegentlich der Reichswahlgesetzberatung[3] alle die alten 48er Dornenfragen auf. Vereinbarung – man läßt dies Wort aus dem Gesetz fort. Vgl. Vogel Strauß versteckt seinen Kopf und glaubt, man sieht ihn nicht. Verhältnis des Parlaments zu den Sonderlandtagen – wird hier allerdings prägnant, da ja nur das preußische Abgeordnetenhaus dem Parlamente gegenüber numerisch von Bedeutung ist. Aber man löst die Frage nicht, sondern umgeht sie, weil Bismarck à tout prix fertig werden will und mit dem Damoklesschwert der Auflösung über ihnen hängt. Der Waffenerfolg in dem ganz unvorhergesehenen Umfange hat die ohnehin charakterlose Fortschrittspartei[4] vollends demoralisiert; der ganze Kammerapparat wird schon nur noch geschoben und ist schon zufrieden, wenn nur die Regierung sich die Mühe gibt, einen Weg zu finden, auf welchem sie sich allenthalben mit der parlamentarischen Form abfinden kann.

Bismarck hat durchaus nicht das Zeug, den eingerührten Teig politisch auswirken zu können, und so ist es denn höchst wahrscheinlich, daß das Brot der deutschen Hoffnung (wenn’s überhaupt noch Toren gibt,


  1. Sophie, geb. 1805 als Tochter Maximilians I. von Bayern; Zwillingsschwester der Königinwitwe Maria von Sachsen (siehe oben: 28. August). Vermählt 1824 mit Erzherzog Franz Karl von Österreich (geb. 1802, gest. 1878), dem sie an Geist und Tatkraft weit überlegen war. Ihrem Einfluß war es vor allem mit zuzuschreiben, daß Ende 1848 Kaiser Ferdinand I. zu gunsten ihres Sohnes Franz Joseph dem Thron entsagte. Ihr zweiter Sohn war Erzherzog Maximilian (geb. 1832), der auf Betreiben Napoleons III. die Kaiserkrone von Mexiko annahm (1864), dann aber, von den Franzosen im Stich gelassen, der republikanischen Partei unterlag und 1867 in Queretaro erschossen wurde.
  2. Der verwundete Erzherzog ist Erzherzog Wilhelm; er befand sich am 3. Juli im Gefolge Benedeks. Beim Vorgehen des Feldzeugmeisters und seines Stabes gegen Chlum zu persönlicher Erkundung war die Reiterschar in das Schnellfeuer der überraschend vorgedrungenen Preußen geraten und hatte erhebliche Verluste erlitten (Th. Fontane, Der Krieg von 1866. Bd. 1, 567).
  3. Der Wortlaut des vom preußischen Abgeordnetenhaus angenommenen Reichswahlgesetzes für den Norddeutschen Bund erschien im Dresdner Journal am 15.September. Es beruhte auf dem Grundsatz der allgemeinen, gleichen, direkten Wahl wie das Wahlgesetz für das Volkshaus vom 12. April 1849.
  4. Peschels Bemerkung über die Fortschrittspartei bezieht sich auf deren Spaltung wegen der Indemnitätsfrage (vgl. Peschel, 5. August, und Anm. 2, 24. August).
Empfohlene Zitierweise:
Erwin Heyne (Hrsg.): Kriegstage in Dresden 1866 und 1870. i. A. des Verein für Geschichte Dresdens, Dresden 1933, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Heft31VereinGeschichteDresden1933.pdf/61&oldid=- (Version vom 27.5.2024)