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Die Bahnhofsmission.

Unsere gute Tante Berta trug stets Zeugstiefel und war sehr fromm. Außerdem war sie nicht unvermögend, aus welchem Grunde sie in unserer Familie ein erhebliches Ansehen genoß. Sie hatte sich seit Jahren angewöhnt, die Sonntage bei uns, ihren Lieblingsverwandten, zu verbringen, teils weil bei uns nicht schlecht gekocht wurde, teils weil sie ihrem Dienstmädchen keine Sonntagsarbeit zumutete. Im übrigen widersprachen wir ihr nie. Mein Vater sagte stets: „Erbtanten haben immer recht, wenigstens solange sie leben, und müssen gut, sogar direkt üppig gefüttert werden.“ –

Es gab keinen Missions-, Kirchenbau- oder dergleichen Verein, die ihre ersprießliche Tätigkeit in der Hauptsache in Kaffeekränzchen zu entfalten pflegen, in dem sie nicht eine führende Rolle spielte.

Eines Sonntags eröffnete sie uns nun bei Tisch, daß ihr das Stricken von Pulswärmern und Jacken für die unglücklichen Ureinwohner von Borneo als Ausdruck einer aktiven Frömmigkeit keine vollkommene Befriedigung mehr gewähre. Mein Vater erbleichte; das Wort „Stiftung“ durchzuckte sein Hirn; meine Mutter stellte das Eingemachte weg. – Sie habe mit einigen gleichdenkenden Damen einen Verein zur

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/114&oldid=- (Version vom 1.8.2018)