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hilft es blos zur Beförderung der Dreistigkeit, und das Deklamiren ist überdem nur eine Sache für Männer[1]. Hieher gehören auch alle Dinge, die man blos zu einem künftigen Examen oder in Rücksicht auf die futuram oblivionem lernt. Man muß das Gedächtniß nur mit solchen Dingen beschäftigen, an denen uns gelegen ist, daß wir sie behalten, und die auf das würkliche Leben Beziehung haben. Am schädlichsten ist das Romanlesen der Kinder, da sie nämlich weiter keinen Gebrauch davon machen, als daß sie ihnen in dem Augenblicke, indem sie sie lesen, zur Unterhaltung dienen. Das Romanenlesen schwächt das Gedächtniß. Denn es wäre lächerlich, Romane behalten und sie Andern wieder erzählen zu wollen. Man muß daher Kindern alle Romane aus den Händen nehmen. Indem sie sie lesen, bilden sie sich in dem Romane wieder einen neuen Roman, da sie die Umstände sich selbst anders ausbilden, herumschwärmen, und gedankenlos da sitzen.

Zerstreuungen müssen nie, am wenigsten in der Schule gelitten werden, denn sie bringen endlich einen gewissen Hang dazu, eine gewisse Gewohnheit hervor.


  1. Freylich giebt es sehr viele verständige und einsichtsvolle Männer, die keiner Deklamation fähig sind, wie es scheint: aber gewiß ist es, daß man leichter behält, was man mit erforderlichem Ausdrucke liest, oder wenigstens lesen könnte, und daß sich der Grund dazu schon frühzeitig und mit Erfolg legen lasse, ist durch die neueste Lesemethode bewiesen. S. Olivier über Karakter und Werth guter Unterrichtsmethoden. Leipz. 1802. und dessen Kunst, lesen und rechtschreiben zu lehren. Desseau 1801.
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Immanuel Kant: Über Pädagogik. D. Friedrich Theodor Rink, Königsberg 1803, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Immanuel_Kant_%C3%9Cber_P%C3%A4dagogik_K%C3%B6nigsberg_1803.pdf/59&oldid=- (Version vom 1.8.2018)