Seite:Keyserling Wellen.pdf/153

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„Sie sprechen nicht mehr davon,“ wiederholte Doralice. „Ich bin also wie eine, die gestorben ist und die vergessen wird.“

„Wie man das macht, Sie zu vergessen,“ höhnte Hilmar.

Doralice sann einen Augenblick vor sich hin, bleich und kummervoll, dann fragte sie leise: „Kennen Sie den Friedhof am Meer?“

Nein, Hilmar kannte ihn nicht, er interessierte sich nicht besonders für Friedhöfe. „Der Geheimrat hat ihn mir gezeigt,“ fuhr Doralice fort, „ein Friedhof, von dem das Meer große Stücke fortspült. Die Särge und die Toten ragen aus dem Sande heraus. Der Geheimrat sagt, in Sturmnächten holt das Meer die Särge ab. Die stillen Herren gehen auf die Reise, sagte er.“

„Das kleine Ungeheuer,“ rief Hilmar, „warum zeigte er Ihnen das? Er will, daß Sie sich fürchten.“

„Vor dem Totsein würde ich mich sonst nicht fürchten,“ meinte Doralice, „man braucht ja vielleicht nicht da zu sein. Nur daß das Totsein so furchtbar nach Alleinsein klingt, und – ich kann nicht allein sein.“ Sie saß da, ein wenig aufgerichtet, die eine Hand in das Heidekraut gestützt, ihr Gesicht war ernst, obgleich die Lippen jetzt

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Eduard von Keyserling: Wellen. S. Fischer, Berlin 1920, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Wellen.pdf/153&oldid=- (Version vom 1.8.2018)