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und können nicht lange bestehen; was aber von Natur geschieht, verhält sich richtig und bleibt in seinem besten Zusammenhange. Ohne Grund also fürchtet Ptolemäus[1], dass die Erde und alle die in Umdrehung versetzten irdischen Gegenstände durch die Thätigkeit der Natur zerfahren würden, da diese Letztere eine ganz andere ist, als die der Kunst; oder als das, was vom menschlichen Geiste hervorgebracht werden könnte. Warum aber fürchtet er nicht Dasselbe, und zwar in noch viel höherem Masse von der Welt, deren Bewegung um so viel geschwinder sein müsste, um wie viel der Himmel grösser ist, als die Erde? Oder ist der Himmel deswegen unermesslich geworden, weil er durch die unaussprechliche Gewalt der Bewegung von der Mitte entfernt worden ist; während er sonst, wenn er stillstände, zusammenfallen würde? Gewiss würde, wenn dieser Grund stattfände, auch die Grösse des Himmels in’s Unendliche gehen. Denn je mehr er durch den äusseren Anstoss der Bewegung in die Höhe getrieben würde, um so geschwinder würde die Bewegung werden, wegen des immer wachsenden Kreises, den er in dem Zeitraume von 24 Stunden durchlaufen müsste; und umgekehrt, wenn die Bewegung wüchse, so wüchse auch die Unermesslichkeit des Himmels. So würde die Geschwindigkeit die Grösse und die Grösse die Geschwindigkeit in’s Unendliche steigern. Nach jenem physischen Grundsatze: dass das Unendliche weder durchlaufen werden,[2] noch sich aus irgend einem Grunde bewegen kann,[3] müsste jedoch der Himmel nothwendig stillstehen. Aber man[4] sagt, dass ausserhalb des Himmels kein Körper, kein Ort, kein leerer Raum, und überhaupt gar nichts existire, und deshalb nichts da sei, über welches der Himmel hinausgehen könnte; dann ist es doch recht wunderbar, dass etwas von nichts umschlossen werden kann. Wenn jedoch der Himmel unendlich, und nur an der inneren Höhlung begrenzt wäre, so bestätigt sich vielleicht um so mehr, dass ausserhalb des Himmels nichts ist, weil jedes Ding, welche Grösse es auch haben mag, innerhalb desselben ist, dann aber wird der Himmel unbeweglich bleiben. Das Vorzüglichste nämlich, worauf man sich beim Beweise von der Endlichkeit der Welt stützt, ist die Bewegung. Ob nun die Welt endlich oder unendlich sei, wollen wir dem Streite der Physiologen überlassen, sicher bleibt uns dies, dass die Erde, zwischen Polen eingeschlossen; von einer kugelförmigen Oberfläche begrenzt ist. Warum wollen wir also noch Anstand nehmen, ihr eine von Natur ihr zukommende, ihrer Form entsprechende Beweglichkeit zuzugestehen, eher als anzunehmen, dass die ganze Welt, deren Grenze nicht gekannt wird, und nicht gekannt werden kann, sich bewege? und warum wollen wir nicht bekennen, dass der Schein einer täglichen Umdrehung dem Himmel, die Wirklichkeit derselben aber der Erde angehöre? und dass es sich daher hiermit so verhalte, wie wenn Virgil’s Aeneas[5] sagt: „Wir laufen aus dem Hafen aus, und Länder und Städte weichen zurück.“ Weil, wenn ein Schiff ruhig dahinfährt, Alles, was ausserhalb desselben ist, von den Schiffern so gesehen wird, als ob es nach dem Vorbilde der Bewegung des Schiffes sich bewege, und die Schiffer umgekehrt der

Anmerkungen [des Übersetzers]

  1. [7] 15) Almagest. I. 7.
  2. [7] 17) Aristoteles. Phys. ausc. III. 4. Πρῶτον οὖν διοριστέον, ποσαχῶς λέγεται τὸ ἄπειρον . ἕνα μὲν οὖν τρόπον, τὸ ἀδύνατον διελϑεῖν. d. h. Zuerst ist zu unterscheiden, in wie vielen Bedeutungen das Unbegrenzte gebraucht wird. Die erste Bedeutung ist nun Dasjenige, was nicht durchschritten werden kann. — Ebenso De coelo I. 5. τὸ μὲν ἄπειρον μὴ ἔστι διελϑεῖν, d. h. das Unbegrenzte kann nicht durchwandert werden.
  3. [7] 18) Aristoteles. Phys. ausc. IV. 4. τοῦ περιέχοντος πέρας ἀχίνμτον, d. h. das jenseits des Umfassenden Liegende ist unbeweglich. — Ebenso De coelo I. 7. Ἀλλὰ μὴν οὐδ' ὅλως γε τὸ ἄπειρον ἐνδέχεται ϰτνεῖσϑαι. d. h. Aber nun ist es ja überhaupt gar nicht statthaft, dass das Unbegrenzte bewegt werde. Und weiter unten in demselben Capitel: Αογιχώτερον δ'ἔστιν ἐπιϰειρεῖν ϰαὶ ὧδε · οὔτε γὰρ ϰύϰλψ οἶόν τε ϰινεῖσϑαι τὸ ἄπειρον ὁμοιομερὲς ὄν · μέσον μὲν γὰρ τοῦ ἀπείρου οὐϰ ἔστι, τὸ δὲ ϰύϰλψ περὶ τὸ μέσον ϰινεῖται · ἀλλὰ μὴν οὐδ᾿ ἐπ᾿ εὐϑείας οἶόν τε φέρεσϑαι τὸ ἄπειρον · δεήσει γὰρ ἕτερον εἶναι τοσοῦτον τόπον ἄπειρον εἰς ὂν οἰσϑήσεται ϰατὰ φύστν, ϰαὶ ἄλλον τοσοῦτον εἰς ὂν παρὰ φύσιν · ἔτι εἴτε φύσει ἔχει ϰίνησιν τοῦ εἰς εὐϑὺ εἴτε βίᾳ ϰινεῖται, ἀμφοτέρως δεήσει ἄπειρον εἶναι τὴν ϰινοῦσαν ἰσχύν · ἥ τε γὰρ ἄπειρος ἀπείρου ϰαὶ τοῦ ἀπείρου ἄπειρος ἡ ἰσχύς. confr. Phys. ausc. VIII. 10. — d. h. Mehr aus dem Begriffe kann man die Entwicklung folgendermassen machen: Das Unbegrenzte, wenn es gleichtheilig ist, kann weder im Kreise bewegt werden, weil es einen Mittelpunkt des Unbegrenzten nicht giebt; und weil das im Kreise Bewegte sich um einen Mittelpunkt bewegen muss; noch kann das Unbegrenzte gradlinig im Raume bewegt werden, weil es dann nöthig ist, dass es einen andern ebenso grossen unbegrenzten Ort giebt, in welchen hinein es naturgemäss, und wieder einen andern ebenso grossen, in welchen es naturwidrig bewegt würde. Ferner mag es von Natur aus, oder durch Gewalt eine gradlinige Bewegung haben, so wird es in beiden Fällen nothwendig sein, dass die bewegende Kraft unbegrenzt sei, denn sowohl ist die unbegrenzte Kraft diejenige eines Unbegrenzten, als auch ist die Kraft des Unbegrenzten selbst unbegrenzt u. s. w.
  4. [7] 19) Aristoteles: De coelo I. 9. Nachdem Aristoteles im Eingange dieses Kapitels umständlich entwickelt hat, dass das Himmelsgebäude alles Körperliche enthalte, und es deshalb ausserhalb des Himmels weder einen Körper gäbe, noch auch je ein solcher entstehen könne, fährt er fort: ἅμα δὲ δῆλον ὅτι οὐδὲ τόπος οὐδὲ ϰενὸν οὐδὲ χρὸνος ἰστὶν ἔξω τοῦ οὐρανοῦ d. h. zugleich ist aber klar, dass es ausserhalb des Himmels weder einen Ort, noch [8] Leeres, noch Zeit giebt. Dies wird dann im weiteren Verlaufe des Capitels näher nachgewiesen, und steht wieder im innigen Zusammenhange mit der Bemerkung Phys. ausc. I. 1. Πρὸς δὲ τούτοις, ἄνευ τόπου, ϰαὶ ϰενοῦ, ϰαὶ χρόνου, ἀδύνατον ϰίνησιν εἶναι. d. h. Ueberdies ist ohne Ort, ohne Leeres und ohne Zeit eine Bewegung unmöglich. Und dies schliesst sich wieder an das in der Anm. 18) Angeführte an.
  5. [8] 20) Aeneis III. 72.
Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Copernicus: Nicolaus Coppernicus aus Thorn über die Kreisbewegungen der Weltkörper. Ernst Lambeck, Nürnberg und Thorn 1879, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kreisbewegungen-Coppernicus-0.djvu/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)