Seite:Kreisbewegungen-Coppernicus-0.djvu/59

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bei demselben Fortrücken sich allmälig nach der Sonne hin wendet, so bewirkt dies, dass dasselbe wiederkehrt, von dem wir Anfangs ausgegangen sind. — In anderer Weise. — Es sei ebenso der Durchmesser

in der Zeichenebene und der gemeinschaftliche Durchschnitt derselben mit dem senkrecht gegen diese Ebene construirten Kreise . In der ersteren Ebene möge in und , d. h. beziehlich in Krebs und Steinbock, der Meridian der Erde durch , und die Axe der Erde durch bezeichnet werden. Der nördliche Pol sei , der südliche , und der Durchmesser des Aequators sei . Wenn nun sich der Sonne, welche in stehen mag, zuwendet, und die Neigung des Aequators um den Winkel nördlich ist: so beschreibt die Bewegung um die Axe, in dem Abstande , den mit dem Aequator parallelen, von der Sonne beschienenen, südlichen Wendekreis des Steinbocks mit dem Durchmesser . Oder um richtiger zu sprechen. Jene Bewegung um die Axe beschreibt in der Richtung eine Kegeloberfläche, die ihren Gipfel im Mittelpunkte der Erde, ihre Basis aber parallel mit dem Aequator liegen hat. In dem entgegengesetzten Zeichen trifft Alles in gleicher Weise, nur umgekehrt, zu. Es ist also klar, wie die beiden, einander entgegengesetzten Bewegungen, nämlich die des Mittelpunktes und der Declination, die Axe der Erde zwingen, in derselben Neigung und in ganz ähnlicher Stellung zu verharren, und dass dies Alles so erscheint, als wären es Bewegungen der Sonne. Wir sagten aber, dass die jährlichen Umläufe des Mittelpunktes und der Declination fast gleich wären, weil, wenn dies genau der Fall wäre, die Aequinoctial- und Solstitialpunkte und die ganze Schiefe des Thierkreises gegen die Fixsternsphäre sich durchaus nicht ändern dürften. Da aber jene Differenz gering ist: so wird sie nur mit zunehmender Zeit merklich: von Ptolemäus nämlich bis auf uns sind jene Aequinoctial- und Solstitialpunkte ungefähr um 21 Grade zurückgerückt. Deshalb haben Einige geglaubt, dass die Fixsternsphäre sich ebenfalls bewege, so dass sie aus diesem Grunde eine neunte höhere Sphäre annahmen; und da diese noch nicht hinreicht, fügen jetzt die Neueren noch eine zehnte hinzu, und dennoch haben sie das Ziel noch nicht erreicht, welches wir durch die Bewegung der Erde zu erreichen hoffen, indem wir uns derselben bei der Entwicklung des Nachfolgenden als Prinzip und Voraussetzung bedienen.[1]

Anmerkungen [des Übersetzers]

  1. [11] 38) In dem Original-Manuscripte folgen auf diese Schlussworte zwei und eine halbe Seite, welche mit sehr schwarzer Dinte ausgestrichen sind, und mit denen Copernicus beabsichtigte, das erste Buch zu schliessen. Die Capitel 12, 13 und 14 machten ursprünglich mit dem Verzeichnisse der Sehnen das zweite Buch aus, welches Copernicus theils durch Streichen, theils durch Abkürzen mit dem ersten Buche verbunden hat. Die Herausgeber der Säcular-Ausgabe haben das von Copernicus Gestrichene in den Bemerkungen hinzugefügt, und diese Worte lauten in deutscher Uebersetzung, wie folgt: Wenn wir auch zugeben wollen, dass der Lauf der Sonne und des Mondes auch bei Unbeweglichkeit der Erde abgeleitet werden könnte, so ist dies doch bei den übrigen Planeten weniger zulässig, und es ist anzunehmen, dass aus diesen und ähnlichen Ursachen Philolaus die Beweglichkeit der Erde erkannt habe; wie auch Einige sagen, dass Aristarch von Samos, wenn auch nicht durch jene Schlussfolgerung, welche Aristoteles (De coelo II. 14) anführt und zurückweist, bewogen, derselben Ansicht gewesen sei. Da aber dies der Art ist, dass es ohne scharfen Geist und ohne lange anhaltende Sorgfalt nicht begriffen werden kann, so ist es, wie Plato erzählt, damals den Philosophen meistens verborgen geblieben, und es hat nur Wenige gegeben, welche zu jener Zeit die Ursache der Bewegung der Gestirne gekannt haben. War es aber auch dem Philolaus oder irgend einem Pythagoräer bekannt, so ist es doch wahrscheinlich, dass sie es nicht den Nachkommen preisgegeben haben. Denn es war der Brauch der Pythagoräer, die Geheimnisse der Philosophie nicht in Büchern zu überliefern, noch Jedermann zu eröffnen, sondern lediglich der Treue der Freunde und Verwandten anzuvertrauen, und von Hand zu Hand weiter zu geben. Als Document für diese Thatsache giebt es einen Brief des Lysis an den Hipparch, den ich, wegen seiner beherzigenswerthen Gedanken, und damit erhelle, wie hoch sie die Philosophie unter sich schätzten, hier aufnehmen, und mit demselben dieses erste Buch schliessen möchte. Den Inhalt des Briefes habe ich aus dem Griechischen folgendermassen (nämlich ins Lateinische) übersetzt:
    Lysis grüsst den Hipparch.

    Nach dem Tode des Pythagoras hätte ich niemals geglaubt, dass sich die Verbindung seiner Schüler lösen würde. Obgleich wir aber wider Erwarten, wie durch einen erlittenen Schiffbruch, der Eine hierhin, der Andere dorthin verschlagen und zerstreut sind, so ist es doch heilige Pflicht, der göttlichen Lehren desselben eingedenk zu bleiben, und die Schätze der Philosophie nicht denen mitzutheilen, welche sich von der Reinigung des Geistes nichts haben träumen lassen. Denn es schickt sich nicht, Dasjenigen Jedermann preiszugeben, was wir mit so grossen Mühen erworben haben. Wie es auch nicht erlaubt ist, die Geheimnisse der eleusinischen Göttinnen gewöhnlichen Menschen zu eröffnen, und mit völlig gleichem Rechte würde das Eine oder das Andere für schlecht gesinnt und pflichtvergessen gehalten werden. Es lohnt der Mühe, zu überdenken, wie viel Zeit wir gebraucht haben, um die Flecken zu verwischen, welche auf unseren Gemüthern hafteten, bis wir nach Verlauf von fünf Jahren für seine Lehren empfänglich geworden waren. Wie die Maler nach der Reinigung die Farbe der Gewänder mit einer gewissen Beize befestigen, damit sie die unvertilgbare Färbung einsaugen, die nachher nicht leicht vergehen kann: so bereitete jener göttliche Mann die Freunde der Philosophie vor, damit er nicht in dem Vertrauen getäuscht werde, welches er in die Tüchtigkeit irgend Eines gesetzt hätte. Denn er verkaufte die Wissenschaft nicht als Waare, noch verband er mit dem Gebrauche der Wahrheit Schlingen, in denen manche Sophisten die Gemüther der Jünglinge fangen, sondern er war ein Lehrer in göttlichen und menschlichen Dingen. Manche Nachahmer seiner Lehre thuen Vieles und Grosses, aber in ungebührlicher Weise und nicht wie es sich schickt, einen Jüngling zu unterweisen, wodurch sie ihre Zuhörer rücksichtslos und unverschämt machen. Denn sie beflecken die reinen Sätze der Philosophie mit ungestümen und unreinen Sitten. Es ist dies so, als wenn jemand in einen mit Schmutz angefüllten, tiefen Brunnen[WS 1] reines, klares Wasser giesst; der Schmutz nämlich geräth in Unruhe, und lässt das Wasser hindurch. So geht es denen, welche in solcher Weise lehren und belehrt werden. Dichte und dunkle Wälder bedecken den Verstand und das Herz derjenigen, welche nicht in gehöriger Weise eingeweihet sind, und stören die ganze Milde und Besonnenheit des Geistes. Alle Arten von Lastern dringen in diesen Wald, welche verzehren und verhindern, dass irgend etwas Vernünftiges daraus hervorgehe. Als Mütter jener Eindringlinge wollen wir hauptsächlich Eigennutz und Habsucht nennen. Beide sind sehr fruchtbar. Denn der Eigennutz gebiert Unzucht, Völlerei, Schändung, wiedernatürliche Lüste und manche heftige Triebe, die zum Tode und zum Verderben führen. Manche nämlich hat schon die Begierde so sehr hingerissen, dass sie sich [12] weder der Mutter, noch der Kinder enthielten, und sie verführte dieselben gegen die Gesetze, gegen das Vaterland, gegen den Staat und gegen die Herrscher, legte ihnen Schlingen, und brachte die Gefesselten zu den grössten Strafen. Von der Habsucht aber werden geboren Räubereien, Morde, Tempelraub, Giftmischerei und andere Schwestern derselben Art. Man muss daher die Schlupfwinkel jenes Waldes, in denen jene Leidenschaften sich aufhalten, mit Feuer, Schwert und allen Mitteln zerstören. Wenn wir die edle Vernunft von jenen Leidenschaften befreit wissen, dann können wir die beste und ergiebigste Frucht in dieselbe säen. Dies hast Du, Hipparch, nicht ohne grosse Mühe gelernt, aber, Lieber, Du hast, nachdem Du den sicilischen Luxus gekostet hast, um dessen Willen Du nichts hättest hintansetzen sollen, es wenig beherzigt. Sehr Viele sagen auch, dass Du öffentlich Philosophie lehrtest, was Pythagoras verboten hat, welcher seiner Tochter, Dama, befahl, dass sie die kleinen Abhandlungen, welche er ihr durch Testament vermachte, Niemandem ausser der Familie geben solle. Obgleich sie dieselben für vieles Geld verkaufen konnte, so wollte sie dies doch nicht thun, sondern achtete die Armuth und die Befehle ihres Vaters höher, als Gold. Auch sagt man, dass die sterbende Dama dasselbe ihrer Tochter, Vitalia, als anvertrautes Gut hinterlassen hätte. Wir aber vom männlichen Geschlechte sind pflichtvergessen gegen unsern Lehrer, und Uebertreter unseres Bekenntnisses. Wenn Du Dich daher besserst, so habe ich Dich lieb, wo nicht, so bist Du für mich todt.“

    Die Ueberschrift des Capitels 12 „Ueber die Grösse der graden Linien im Kreise“, welche in den Ausgaben hier folgt, fehlt in dem Original-Manuscripte, statt deren findet sich die Ueberschrift „Ueber die graden Linien, welche Sehnen im Kreise sind.“ Der Anfang des Capitels, wie er in den Ausgaben steht, und ausserdem einige dem vorausgeschickte Sätze, sind in dem Manuscripte ausgestrichen. Diese ausgestrichenen Worte lauten in Uebersetzung so: „Was aus der Naturphilosophie als Grundsätze und Voraussetzungen für unsere Entwickelung nothwendig erschien, dass nämlich die Welt kugelförmig, sehr gross und dem Endlosen ähnlich, ferner dass die Fixsternsphäre alles umfasse und unbeweglich, dass aber die Bewegung der übrigen Himmelskörper kreisförmig sei: haben wir im grossen Ganzen abgehandelt. Wir haben aber noch hinzugefügt, dass die Erde in einigen Kreisbewegungen begriffen ist, auf welche wir bei der Entwicklung unsrer ganzen Theorie von den Gestirnen, wie auf einen Grundstein uns stützen. Weil aber die Entwicklungen, deren wir uns fast in dem ganzen Werke bedienen, sich mit graden Linien und Bogen und mit ebenen und sphärischen Dreiecken beschäftigen, und, obgleich hierüber schon Vieles in den Elementen Euclids vorliegt, man doch nicht das besitzt, was hier hauptsächlich erforderlich ist, wie man nämlich aus den Winkeln die Seiten und aus den Seiten die Winkel finden kann: so u. s. w.“ Vergl. Capitel 12.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bruunen