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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

Genelli (»großer Künstler«, 1854) und die ganze deutsche Kartonwelt. Er fand sich bald zurecht und erwartete die neue Kunst mit offenen Sinnen. Welches Verständnis hatte er dann für Munkácsys »Milton«, Courbets »Steinklopfer«, für jede neue Einfleischung des malerischen Prinzips. Hätte die Moderne ihn noch frisch und streitlustig gefunden, er hätte sich ihr schwerlich verschlossen. Manches lobte er mir rückhaltlos, wenn ich ihn aber bewegen wollte, doch einmal das Seinige über die neuen Dinge zu sagen, hieß es: »Das ist mir alles fremd, ich müßte mich in Menschen und Sachen erst hineinlernen.« Sein letztes[WS 1] Kunstfeuilleton, über Constantin Meunier (10. April 1898), ist geschrieben wie über einen alten Meister, über den es gar keinen Streit geben kann.

In der Musik ist er wohl am meisten kanonisch verblieben. Er hatte Klassikerblut in seinen Adern und war für einen musikalischen Religionswechsel schwer oder gar nicht zu haben. Das waren im Vater- und Mutterhause die ersten Toneindrücke des Säuglings gewesen. Klassische Musik spielte er selbst mit Leidenschaft sein lebenlang. In den edelsten Überlieferungen der Philharmonik, der Kammermusik wogte sein Töneleben dahin. Als er nach Wien kam, erlebte Frau Musica gerade wieder einen Rückfall in die blühendste Jugend. Schubert wurde ausgegraben und von Herbeck auf einen echt vergoldeten Biedermeierthron gesetzt. Man lese einen Sp.schen Artikel über ihn; keine Kritik, sondern etwa »Schubert und die Höldrichsmühle«. Das war immer die recht eigentliche Freude an der Musik, wie sie noch der alte Vater Konrad in Ulm verstanden. Und nun plötzlich all dieses »neue Wesen« ringsum, dieses neue Musikprogramm, diese unbequem anspruchsvollen Innerlichkeiten und Äußerlichkeiten eines neuen Tonevangeliums. Er drückte mir das einmal so aus: »Denken Sie sich, was ein Christ fühlte, als der Islam gegründet wurde«. Wir haben gesehen, wie schon sein erster, noch schüchterner Musikartikel Wagner empfehlend ablehnte. Das blieb dann seine Haltung bis ans Ende. Ohne Zweifel hat persönliche Abneigung dazu beigetragen. Als Wagner in Penzing hauste, gab es Veranlassung genug. Die Geberde des großen Mannes, das Getöse der »Clique«, der Anspruch auf unbedingte Gefolgschaft, all das ging der kraftvollen Selbstfülle einer Sp.schen Persönlichkeit wider den Strich. Sie waren zwei Pole, die sich naturgemäß abstießen. Auch Brahms gegenüber spielte das Persönliche stark mit. Aus so mancher frühen Äußerung schon klingt die Unvereinbarkeit zweier Wesen deutlich hervor. »Ein hervorragender Tonsetzer, eine der hellsten Leuchten der deutschen Musik der Gegenwart« ist er ihm zwar, aber auch »eine viel zu weltkluge, ironische Natur, die viel zu tief in die Menschen hineinschaut, um sich um ihren momentanen Beifall nur etwas zu kümmern«. Damals waren sie einander noch möglich. Später verschärfte sich der Gegensatz immer mehr. Es entstand einer jener langen, aufreibenden, kritischen Kleinkriege, in denen der unerschöpfliche feuilletonistische Witz Sp.s, seine unglaubliche Virtuosität der Nadelstiche sich ein Fest leistete. Und das oft unleidliche Gebaren des Parteigängertums, das sich an diese großen Musikschöpfer heftete, zog ihnen fast noch mehr kritisches Ungemach zu, als ihr eigenes Schaffen. Wobei übrigens auch noch in Anschlag zu bringen, daß Sp. seine Musikkritiken nicht für die »Neue Freie Presse«, sondern für das

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letzes
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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/10&oldid=- (Version vom 22.6.2019)