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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

»Fremden-Blatt« schrieb. Es gab zwei ganz verschiedene Sp.s nebeneinander. In der »N. Fr. Pr.« hielt er den Ton wesentlich höher, im »Frdbl.« durfte und sollte er populär sein. Da war alles Aufmischende willkommen und neue Facetten schliffen sich an Sp.s Schreibart heraus, auch eine göttliche Gaminerie, die ans Witzblatt streifen konnte. Er hatte eben alle erdenklichen Saiten auf seinem Instrument. Und gewisse kleine Bosheiten schmerzten die Betroffenen noch weit mehr als blutige Schwertstreiche, da sie doch wußten, daß sie bei alledem unvernichtbar waren. Wenn er etwa über Hans Richter ganz harmlos schrieb: »Herr Johann Richter dirigierte mit der unerschütterlichen Ruhe eines Holländers.« Wer könnte es so bald feststellen, wie vielerlei kleine und große Menschlichkeiten zusammenwirkten, um ein kritisches Verhältnis festzustellen und in der einmal gewählten Richtung folgerichtig fortzubilden. Auch was an richtigem Sportreiz sich aus vorhandener Schärfe der Feder auslöst, ist nicht gering anzuschlagen. Nur wer selbst solche Feder führt, weiß das genau abzuschätzen. Und das alles ist auch so sehr Temperamentsache; Blutmischung von Hause aus, Tages- und Jahresstimmungen, wichtige seelische Durchgangsmomente spielen mit. Dazu das Bewußtsein, das Gewürz des Blattes zu sein.

Übrigens war Sp., wenn man ihn richtig zu fassen wußte, merkwürdig rasch umzustimmen. Einer intelligenten Vermittlung war er sehr zugänglich. Und dann hatte er einen unerschöpflichen Fonds von Seelengüte, Menschenfreundlichkeit, Humor, und schließlich war der ganze Mensch von einem schimmernden Zauberschleier von Liebenswürdigkeit, Gefälligkeit, Noblesse umwallt. Man konnte an seine Seele heran, auch wenn er nicht recht wollte; er tat dann, als habe man an seinen Verstand oder seine kunstpolitische Einsicht appelliert. So in den Fällen Wilbrandt und Burckhard, im Burgtheater. Ein hübsches Beispiel solcher Umkehr ist aus seinem Verhältnis zu Anton Bruckner anzuführen. Anfangs mochte er ihn gar nicht und ließ ihn wesentlich satirisch an, bis eines Tages Albert Kauders – so erzählt er in seinem Aufsatz: »Speidel als Musikkritiker« – sich ins Mittel legte und ihn zu gründlichem Studium Brucknerscher Partituren bewog. Da war Bruckner gerettet. Es erschien ein herrlicher Artikel voll liebevoll humorisierender Anerkennung (»Meßnerfigur mit dem Imperatorenschädel«). Selbst Richard Wagner wandte er sich gelegentlich mit plötzlich durchbrechendem ästhetischem Gefühl zu. Im Jahre 1883 schrieb er noch einen »Hohnartikel« (Kauders) gegen den »Tristan«, zwölf Jahre später würdigte er das Werk tief eindringend, mit einer Art Selbstaufopferung. Nur zu Brahms fand er keine Brücke mehr; beide waren alt geworden ohne Brücke und behalfen sich ohne einander. Auf den Wagnerkrieg in Wien blicken wir ja heute historisch zurück, leidenschaftslos wie auf eine andere notwendige Naturerscheinung. Das war ein gesundes Erdbeben, wie in jüngster Zeit wieder die Sezession. Morsches ist eingestürzt, Starkes ragt nach wie vor. Eine Weile wird das nun vorhalten. Die Wiener Wagnergegner bildeten jedenfalls eine glänzende Phalanx, die einst gewiß literarische Schätzung genießen wird. Wie heute die Xeniengegner und Werthersatiriker, allerdings minderes Gezücht, richtig gewertet werden, deren Opuscula sogar wieder in authentisch nachgeahmter Originalform ans Licht gelangt sind. Und wie Sp. seinen Wagnerkrieg führte, das wird immer ein geistiges Ergötzen bleiben. Was hätte Lessing

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)