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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

Stimmungskunst, das ist das innerste Wesen dessen, was wir heute modern nennen. Als großer Stimmungskünstler war auch Sp. durchaus modern. In seinem Stil eher Plastiker als Kolorist, wie die ganze neuere alemannische Literatur, von Ulm bis Seldwyla hinab, war er doch ganz vergoldet von den weicheren, westlichen Luftströmungen. Darum hatte er auch so das Talent, sich einzuwienern, obgleich er keineswegs nach jener Münchner Befürchtung verwienerte. In einer Reihe seiner Stimmungsfeuilletons nun erhob er sich bis zu Höhen historischer Stimmung, von denen ein Gregorovius etwa (der ihm überhaupt zu preziös war) keine Ahnung hatte. Schon in jüngeren Jahren fehlte es nicht an Anlässen, höchste deutsche Warten zu erklimmen und von da aus die Zeit zu betrachten. Das sittliche Moment war ihm ohnehin immer der natürliche Hintergrund des Schaffens. Er liebte es und verzieh es, wenn es dann einmal nicht gerade zu künstlerischer Mitwirkung gelangte. Zu Schiller schrieb er einst: »Der Deutsche mag sich gern den Vorwurf gefallen lassen, daß er das Sittliche und Poetische nicht zu trennen verstehe. Es liegt nun einmal in unserer Art, von der Poesie ein wenig etwas wie Erbauung zu verlangen.« Da kam denn auch die Zeit der mächtigen deutschen Stimmungen über ihn. Im »großen Weltjahre 1870« schrieb er jenes Feuilleton: »Der Gott im deutschen Lager.« Einen Lobgesang auf Armut und Arbeit der Deutschen; das ist der Gott in ihrem Lager, der sie groß und stark gemacht hat. Glänzende Schillertage kamen, zuletzt noch der 3. Juli 1904, und verlangten ihn. »Wo zwei Deutsche beieinander sind, da ist Schiller mitten unter ihnen.« Er hatte über Schiller in gar verschiedene Zeitungen zu schreiben, auch in die kaiserliche »Wiener Zeitung«. Es ist sehr interessant, wie er sich da eigens auf die Definition der Schillerschen Freiheit wirft, die so stark mit Ordnung und Gesetz synonym war. »Schiller als Partei-Name« heißt der Aufsatz (Abendblatt der W. Ztg. 18. November 1859). »Freiheit im Sinne eines Partei-Spitznamens« sei nicht nach Schillers Sinne, dessen Tell »Wiederherstellung der durch persönliche Zwingherrschaft vernichteten gesetzlichen Zustände« angestrebt habe. »Der Ehrenbürger der französischen Republik bezeichnete jene Männer auf gut schwäbisch als »elende Schinderknechte« und verschloß sich gegen die französische Revolution ebenso wie sein Freund Goethe.« Erst mit der inneren Reife, bei endgültig gefestigten äußeren Lebensumständen, fand er den ihm naturgemäßen Standpunkt und sprach wie von Souverän zu Souverän. Ich könnte ebenso gut sagen: von Deutschem zu Deutschem. Nie ist er so ganz Sp., als wenn er von einem starken deutschen Manne sagt und dessen innere[WS 1] und äußere Natur aufbauend mißt und begreift. Die Schriftsteller liegen ihm ja ganz besonders; die Schiller, Vischer, Jakob Grimm, D. F. Strauß, Uhland, Freytag, auch Andreas Schmeller und sein bayrisches Wörterbuch. »Das Heimatsgefühl der Brüder Grimm« ist ihm noch ein besonderer Weihnachtsstoff geworden. Da ist er ganz und gar in seinem Element. Literarische, philosophische, kritische Selbstmänner. Je mehr Kernmensch, ihm desto genehmer. Selbst der Jude schreckt ihn nicht. Moses Mendelssohn, Heinrich Heine, dem er sein Denkmal heischt, und Ludwig Börne, dem er im Auftrage des Wiener Schriftstellervereins »Concordia« die Festrede schrieb, »gegen den Sturm, der mir ins Gesicht weht« (in antisemitischer Zeit). »Nein, ich kann nicht


  1. Vorlage: innnere
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)