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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

glauben, daß Börne tot sei.«? Er steht »an der Spitze der Geister, die verneinen, aber er verneint nur, um für die Zukunft Raum zu schaffen«. Ins Monumentale geht er, wenn er von Ulrich Zwingli schreibt, dem sein Freund Natter in Zürich das Denkmal gesetzt. Und ins Monumentalste, wenn er Martin Luther feiert (1883), der Katholik den Protestanten. »Reicher, als man glaubt und nicht in wenige Worte zu fassen«, schreibt er unwillkürlich hin, wie ihm dieser Stoff unter den Händen ins Ungeheure schwillt. Seine Töchter erinnern sich noch genau an den Tag, an dem »Papa über Martin Luther schrieb«. Den ganzen Tag herrschte eine feierlich gehobene Stimmung in der Familie, kein Laut war zu hören, Andacht machte das Haus zur Kirche. Und als der Gottesdienst dieser Arbeit zu Ende war, zog stiller Jubel ein. Weib und Kinder verehrten ihn grenzenlos.

Deutsch, im Sinne der Klassikerzeit, war auch sein lebenslanges Festsitzen. Er war die eingefleischte Seßhaftigkeit. Sein Sehkreis war eigentlich ein Stubenhorizont, wenn auch die Stube hoch lag und weit in die Runde sah. Nicht bis ans Ende der Welt, aber hoch in den Himmel hinauf. Er kannte die Weltstädte draußen weniger gut als die Weltkörper droben. Nach jener Londoner Reise kommen erst spät weitere Flüge. Allein schwang er sich zu solchen Abenteuern überhaupt nicht auf. Wenn sich eine Lokomotive wie Heinrich Natter vorspannte, ließ er sich allenfalls auch nach Italien remorkieren, aber es kam erst 1888 dazu. Vorher hatte er bloß die Schwelle betreten, auch wiederholt mit der Familie im heißen Bade zu Battaglia, bei Padua, geweilt. Ein vorzügliches Feuilleton von dort gleicht einem abgeblendeten Zimmer, in das durch Ritzen allerhand unglaublich Lichtglühendes fällt. Es ist auf Albrecht Dürers Wort gestimmt: »Wie wird mich nach der Sonnen frieren!« Auch in die nahen Euganeen fuhren sie, nach Arquà, die Petrarca-Stätte. Mit Natter kam er bis nach Rom. Einige Stellen aus Briefen an seine Frau deuten den Eindruck an. Rom, 19. April: »Wir sind sechs Tage in Florenz geblieben, dann je einen Tag in Siena und Assisi – beim heiligen Franz – zugebracht. Venedig hat uns auch drei Tage gekostet. Wir haben viel gesehen, fast zu viel, und eine Masse Makkaroni, vorzügliche, gegessen, die nur noch besser sind, wenn Du sie bereitest. Von Rom habe ich noch keinen Eindruck, er wird kommen. Hotel Aliberti, via Margutta.« (Er hatte in vier Hotels kein Zimmer bekommen.) Rom, 20. April: »Beim Anblick vom Moses brach Natter so heftig in Tränen aus, daß er sich zehn Minuten lang hinter einem Pfeiler unsichtbar verbarg. Hier in Rom ist alles viel einfacher und größer, als man es sich aus der Ferne denkt; Michelangelo, Raffael und die ganze Stadt. Worte und Abbildungen helfen wenig, wie ja auch der Mensch immer ein anderer ist, wenn man ihn nach dem Hörensagen persönlich kennen lernt.« Aus Venedig, im April: »In Venedig, das mir wieder unglaublich gefiel, bin ich im Pelzrock herumgegangen.« Er war voll gesogen und gewiß des Eindruckes froh, dennoch schreibt er auf der Rückreise (Bergamo, 1. Mai): »Ich bin müde und werde so bald nicht wieder reisen. Reisen ist nicht mein Talent, ich bin eine viel zu beschauliche Natur, als daß ich mich jeden Augenblick durch die Außenwelt möchte aufschrecken lassen.« In seinen jungen Wiener Jahren muß er sich wenigstens zu Abstechern nach Salzburg, Prag, Pest aufraffen, von wo er Sommerfeuilletons oder Musikberichte

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)