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Friedrich Gerstäcker: Moden über die Welt. In: Fliegende Blätter. Band 18.

Moden über die Welt.
Skizze von Friedr. Gerstäcker.

Das Wort Mode hat einen sehr weiten Begriff – es erstreckt sich auch auf den Stoff, ja quält, peinigt, verunstaltet und mißhandelt nicht allein unsere Körper, sondern auch unsere Seelen. Nun ist es allerdings ein ziemlich gleichgültig Ding, ob ich einen spitzen oder breiten Hut, ob ich einen kurzen oder langen Rock trage – es hat sogar nicht viel zu bedeuten, wenn ich von Wolle nach Seide, und von Seide wieder nach einem anderen Stoffe überwechsele; die Sache wird aber schon weit bedenklicher, wenn es darauf hinausläuft, mir Füße oder Rippen zu zerpressen, wie sie’s in den Zopfländern machen, gewisse Zähne auszubrechen, wie in Afrika, die Haut aufzureißen, wie in Australien, oder sich gar den Schädel als kleines Kind schon nach einer gewissen modernen Form einbiegen zu lassen, wie bei Oregonstämmen. – Noch viel tollere Sachen gehören alle mit zur Mode.

Aber selbst die Seele lebt nicht frei und unabhängig in unserer Brust – auch sie ist der Mode unterworfen, denn in dem einen Lande ist es Mode Katholik, in dem andern Protestant zu sein, in dem dritten Schiwa- und Brama-Anbeter – da Wischnu, da Muhamedaner und Gott weiß, was sonst noch, und will man sich da ausschließen, rümpfen die Leute eben so die Nase, als wenn ich mich hier dem Frack und Civil-Czako widersetze, und Alles kann man ja doch nicht sein.

Auch die Art sogar, wie sie ihre Religionen ausdrücken, ist der Mode unterworfen; die Einen singen, die Andern tanzen – die Einen werfen sich auf die Kniee nieder und kreuzen die Hände auf der Brust, wie die Muhamedaner, die Anderen legen sich auf den Rücken und strampeln mit den Beinen, wie die Methodisten in den Vereinigten Staaten; die Einen halten es für eine Grobheit, den Hut aufzubehalten, wie die Christen, die Anderen für dasselbe ihn abzunehmen, wie die Juden – es ist rein zum Verzweifeln, und der liebe Gott da oben muß wahrhaftig manchmal ganz confus werden, wenn er so an einem recht stillen, freundlichen Sonntagmorgen auf den ganzen Wirrwar hier unten herunterblickt. – Doch das ist nicht das, worüber ich heute mit Ihnen sprechen wollte, die Moden der Seele liegen uns auch für das alltägliche Leben zu tief, mit einem Blick da hinein auch gleich ein Urtheil fällen zu können, oder selbst nur einen Ueberblick zu gewinnen, die Nüancen sind zu fein. – Und nebenbei ist es auch bei der frommen Richtung, die unsere Regierungen gegenwärtig genommen haben, eine viel zu kitzliche Sache, sehr genau auf die Mode der Religionen einzugehen, man kommt da auf zu viele Blößen, und der eine Schneider sagt, ich habe recht, während der andere Himmel und Erde zum Zeugen aufruft, daß er die richtige Form gefunden habe – die en gros Handlung selber hat sich aber noch gar nicht darüber ausgesprochen.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Moden über die Welt. In: Fliegende Blätter. Band 18.. Braun & Schneider, München 1853, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moden_%C3%BCber_die_Welt-Gerstaecker-1853.djvu/1&oldid=- (Version vom 1.8.2018)