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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

schwere häusliche Sorgen über ihn herein. Zwei Söhne und eine Tochter hatte ihm seine junge Gattin schon geschenkt, als sie nach der Geburt des vierten Kindes schwer lungenleidend wurde. Das jüngste Kind starb, und die Frau musste zu besserer Pflege zu einer Tante nach Mainz übersiedeln, wo sie 1849 ihrem Leiden erlag. Die Tante nahm nun auch die drei Kinder zu sich nach Mainz, so dass Gladbach wieder allein und einsam in der Welt stand. Seine Aufnahmen waren herausgegeben, eine neue künstlerische Aufgabe nicht in Sicht. Da begann er mathematischen Problemen nachzugrübeln und sich völlig von der Welt abzuschliessen, so weit es die Amtsgeschäfte nur erlaubten, – war er doch auch in den wenigen Jahren fünfmal versetzt worden, so dass er nirgends zu dem ihm so nötigen menschlichen Verkehr gekommen war. Aus diesem für sein Talent höchst unerfreulichen Stadium riss ihn eine Berufung an das eidgenössische Polytechnikum nach Zürich, welcher er mit Freuden folgte. Er hatte dies seinem Jugendfreund Ferdinand Stadler zu verdanken, der an dem neugegründeten Polytechnikum Baukonstruktionslehre dozirte, sich aber mehr zu eigenem produzirendem Schaffen hingezogen fühlte. Er fand Gladbach höchst unglücklich in seiner Stellung in Oppenheim und beschloss, ihn als seinen Nachfolger zu empfehlen; auch Gervinus verwandte sich warm für ihn, so dass er 1857 von dem damaligen Schulpräsidenten, Dr. Kern, als Professor für Baukonstruktionslehre ernannt wurde.

Mit vollem Eifer und grösster Freude gab sich Gladbach seiner neuen Lehrtätigkeit hin, die seiner Natur weit mehr angepasst war, als die praktische Bauausführung. War er doch wirklich ein geborener Lehrer, wenn ihm auch sein Fach nicht gerade auf den Leib zugeschnitten war. Aber der Zauberschlüssel für alle Lehrtätigkeit war ihm zu Teil geworden: bei seinen Schülern die Freude am Fach zu erwecken und sie zu eigener Tätigkeit anzuregen. Mit Worten konnte er es freilich nicht – eine Rednergabe hat er nie besessen und trotz der 32jährigen Übung nie erworben – aber schöne Worte allein haben in der Kunst noch nie Früchte gezeitigt. Zeichnen, Darstellen aber konnte er alles in der überzeugendsten Weise und mit einer Beherrschung jeglicher Technik, wie sie nur Wenigen gegeben ist. Was ihm dabei auch die Herzen aller Schüler gewann, war seine grosse Güte und sein liebevolles Eingehen auf jeden Einzelnen, wobei er nur zu oft seine eigene freie Zeit opferte, um einen Hintergrund auf eine fertige Zeichnung zu malen, und seine ganze Befriedigung in dem Danke des Schülers fand. Noch ein anderer Zug trug viel zu seiner grossen Beliebtheit bei den Schülern bei: die fast übergrosse Harmlosigkeit, die ihm manchen lustigen Streich spielte, über welchen er aber selbst zuerst so herzlich lachte, dass jedem Spotte die Spitze abgebrochen war, wie er sich auch über jeden Scherz seiner Schüler freuen konnte, wenn

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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)