Seite:Posse Band 5 0153.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

einer niedrigen, nach oben sich verengenden Mütze, über deren Oberrand drei Kugeln sich erheben. Die Rechte hält das Zepter, einen einfachen Stab mit Knopf, die Linke einen gewaltigen Reichsapfel mit einem Kreuze.

Die neue Auffassung, die der große Kaiser, der Deutschland zum mächtigsten Reiche Europas erhoben hatte, auf dem Siegel einführte, wurde in der Folge bald zur Vollendung gebracht.

Otto II. behielt den Typus zwar noch unverändert bei (I, Taf. 8, 1–6), Otto III. aber bildete das Brustbild zur ganzen Figur aus, die zunächst in den 996 (I, Taf. 9, 5) und 997 (I, Taf. 9, 6) erscheinenden Siegeln stehend, dann aber seit 997 auf dem Throne sitzend (I, Taf. 10, 1), in majestate, dargestellt ist – das Majestätssiegel, das dann 700 Jahre hindurch beibehalten wurde bis auf Franz II., unter dem des alten Reiches Herrlichkeit 1806 zu Grabe getragen wurde.

Die selbständige Umarbeitung des Kaisersiegels in dieser Zeit ist nichts Zufälliges. Sie entspricht dem Erwachen der Kunsttätigkeit überhaupt. Die Aufrichtung und Festigung des Reichs durch Heinrich I. hatte den Boden bereitet, auf dem unter Otto eine Kultur, Sitte und Geistesleben entstehen konnten. Als das goldene Zeitalter erschien es den Zeitgenossen. „Sicher zieht der Wanderer die Straße“, rühmte Dietmar von Merseburg, „in lachende Felder verwandelt sich der Urwald, Handel und Wandel gedeiht und fördert den Reichtum, in den neuen Städten blüht das Handwerk, zahlreiche Klostergründungen tragen die Gesittung aufs Land und werden Pflanzschulen für Wissenschaft und Kunst.“ Heute noch erzählen die Bauten von Quedlinburg, Essen und Gernrode von der Kunstblüte jener Tage, die durch Ottos Beziehungen zu Italien Stütze und Förderung erhielt. Es ist kein Zufall, daß das Siegel Ottos, das zuerst die neue Auffassung bringt, erst nach seinen italienischen Feldzügen auftritt[1].

Nachdem der Typus einmal feststand, bietet das Siegel nur mehr die Abwechselung, die der Wandel des Stils und des Geschmacks hervorruft. Von der monumentalen, klassischen Einfachheit der Figur des thronenden Kaisers unter den sächsischen und fränkischen Kaisern[2] geht sie unter den prunkliebenden Staufern zu einer reichen Ausgestaltung des Thrones und des Kostüms über, um dann die ganze zierliche Eleganz der Gotik sich entfalten zu lassen, die unter Sigismund und Friedrich III. ihre Höhe erreicht. Und die späteren Siegel sind die Zeugen der jeweiligen Geschmacksrichtung.

Wie die ältesten Wachssiegel zeigen die Averse der uns erhaltenen karolinger Bullen Porträts. So zeigt die älteste uns erhaltene Goldbulle Ludwigs des Frommen (IV, Taf. 73, 1) dieses in Nachahmung byzantinischer Vorbilder en profil, während spätere Bullen der Karolingerzeit unter Benutzung römischer Münzen und in Anlehnung an die für das Wachssiegel benutzten antiken Gemmen das Porträt en face darstellen. Die Reverse, wie auch die Bulle Ludwigs II. (I, Taf. 2, 3) mit Cesar augustus decus imperii, auf den Zusammenhang der Herrschaft mit dem früheren Reiche hinweisend, tragen die Aufschrift Renovatio regni Francorum (Ludwig der Fromme IV, Taf. 73, 2; Karl III. I, Taf. 4, 5; Arnulf I, Taf. 5, 6). Die Existenz von Bullen der beiden ersten Ottonen ist zwar bezeugt (S. 13, 14), jedoch ist uns kein Bild erhalten, wir kennen nur die Bullen Ottos III., der in seinen späteren Regierungsjahren mit der Wachssiegelung brach und nur mit Blei siegelte (S. 16). Die Averse seiner Bullen zeigen ebenfalls, wie zur Karolingerzeit, das Kaiserbild, dagegen die Reverse einen die Stadt Rom darstellenden Frauenkopf. Diesen umgibt eine Umschrift, die von der früher geführten Inschrift insofern abweicht, daß es anstatt Renovatio regni Francorum jetzt heißt: imperii Romanorum. Die zuletzt von Otto geführte Bleibulle (I, Taf. 10, 8. 9) ist dann nochmals geändert worden: im Avers wird das Kaiserbild mit der Umschrift Aurea Roma umgeben, der Revers zeigt die Inschrift Oddo imperator Romanorum. Sie entspricht den Anschauungen des großen Kaisers, der von Bewunderung für das alte Rom erfüllt, mit dem stolzen Gedanken umging, das alte Römerreich in seiner Herrlichkeit und Machtfülle wieder herzustellen, das „goldene Rom“ wieder zur ersten Stadt des Reiches, zum Sitz des Kaisers und zum Mittelpunkt der Welt zu machen.


  1. F. Hauptmann in der Kölnischen Zeitung 1910, No. 782. – Redlich a. O. 231.
  2. Ungleich höheren Wert als auf die Darstellung der Gesichtszüge des Herrschers hat man schon seit dem 9. Jahrhundert auf die Insignien gelegt. Breßlau a. O. 966. Als Embleme kommen in den Thronsiegeln Reichsapfel und Zepter vor. Der Reichsapfel fehlt nur in dem Siegel Konrads II. (I, Taf. 12, 1) und Heinrichs III. (I, Taf. 14, 2). Meistens, und seit Heinrich IV. ausnahmslos, ist dieser von einem Kreuz überragt (I, Taf. 16). Im Siegel Heinrichs II. (I, Taf. 11, 2) befindet sich das Kreuz auf der Oberfläche des Apfels. Auf den Siegeln Friedrich I. ist er außerdem mit Reifen umgeben (I, Taf. 22, 1). In der Regel hält ihn die Linke, nur in den Siegeln Heinrichs II. (I, Taf. 11, 1), Konrads II. (I, Taf. 13, 3. 4), Heinrichs III. (I, Taf. 15, 1), Heinrichs IV. (I, Taf. 17, 3) und Friedrichs II. (sizilianische Königsgoldbulle II, Taf. 27, 3) ruht er in der Rechten. – Das Zepter haben die Thronsiegel Heinrichs II. (I, Taf. 11, 1–3). Gewöhnlich endet es in einer Lilie (I, Taf. 11, 2. 3; 12, 1. 4. 5; 17, 3–5; 19, 1–3; 20, 1. 2. 4; 21, 1; IV, Taf. 74, 3. 4) Seltener in einem Kreuz (I, Taf. 22, 1. 2; 23, 2; 24, 4; 25, 4; 27, 6; 28, 1. 2) oder Doppelkreuz (I, Taf. 13, 1). Statt seiner oder neben ihm, wie im Siegel Konrads II. (I, Taf. 12, 1) findet sich in mehreren Siegeln der Ottonen und Salier (I, Taf. 7, 5–7; 8, 5. 6; 9, 1. 2. 6; 12, 1; 14, 2; 15, 1. 2) der Herrscherstab mit Knopf oder das Konsularzepter mit sitzendem oder auffliegendem Adler (I, Taf. 13, 2. 4; 14, 1–3; 16, 1–5; 17, 1; 18, 1), zuletzt auch unter König Alfons (I, Taf. 39, 6). Im Siegel Heinrichs III. (I, Taf. 14, 2) kommen beide zugleich vor. Vgl. Geib a. O. 127. In der Zeit der Salier schwankt der Gebrauch von Stab (Konrad II. I, Taf. 12, 1; Heinrich III. 15, 1. 2), Konsularzepter (Konrad II. I, Taf. 13, 2–4; Heinrich III. I, Taf. 14, 1. 2; Heinrich IV. I, Taf. 16, 1–5; Rudolf I, Taf. 18, 1) und Lilienzepter (Konrad II. I, Taf. 12, 1. 4. 5; 13, 1, Heinrich IV. I, Taf, 17, 3–5). Erst unter Heinrich V. kommt letzteres wieder regelmäßig vor und wird dann auch weiterhin das ganze Mittelalter hindurch als „Laubzepter“ geführt.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0153.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)