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In mehreren Urkunden des Jahres 1299 hebt Albrecht I. ausdrücklich hervor, daß er das Sekret nur deshalb anwende, weil er nicht im Besitze des größeren Siegels sei, das er dem Kanzler mitgegeben hatte, als dieser behufs Abschlusses eines Vertrages nach Frankreich gesandt worden war. Hieraus ergibt sich, daß man seit Aufkommen des Sekretes, des Duplikates vom Thronsiegel entbehren konnte, indem man in dessen Ermangelung die Urkunde mit dem Sekrete interimistisch beglaubigte. Doch damit ist nicht ausgeschlossen, daß auch spätere Reichskanzleien, wenn durch starken Geschäftsbetrieb gezwungen, zu Anfertigung von Duplikaten geschritten sind, ohne daß wir uns, wie unter Friedrich I., in der Lage befinden, beurteilen zu können, ob das Siegel mit dem Haupt- oder Hilfsstempel hergestellt ist.

Von Heinrich VII. ist ein Sekretsiegel nicht bekannt, erst unter Ludwig IV. wurde dessen Verwendung häufiger und seine Bedeutung dadurch sehr erhöht, daß man, wie schon unter Albrecht I., einzelnen Urkunden das Sekret als selbständiges Siegel zufügte, und zwar nicht nur Schriftstücken geringeren Wertes, sondern auch kleineren Privilegien und Begnadungen, also rechtlich bedeutsamen Urkunden. Zur regelmäßigen Verwendung kam das Sekret erst unter Karl IV.

Zu der um die Mitte des 13. Jahrhunderts geforderten größeren Sicherung der Urkunde mittels Rücksiegelung kamen auch äußere Gründe hinzu, durch Schaffung eines kleineren Siegels den Gebrauch des großen Siegels zu beschränken.

Die bis zu 13½ cm anwachsende Größe und die dadurch bedingte Schwere des Siegels konnte den praktischen Bedürfnissen, denen es noch im 13. Jahrhundert gedient hatte, nicht mehr genügen. Wie wäre es möglich gewesen, die ganze Masse der aus der königlichen Kanzlei hervorgehenden Urkunden mit dem großen Siegel zu versehen. Dazu der Aufwand an Wachs, das große kunstvoll gestaltete Siegel an dem kleinen Pergamentblatt. Ein kleineres königliches Wachssiegel vermochte als Ersatz für das Majestätssiegel zu dienen. So ergeben sich die Möglichkeiten: das große Majestätssiegel, die Anwendung des Rücksiegels, des Sekretsiegels oder eines privaten, vom Könige getragenen Siegelringes[1].

Die mit Rudolf I. beginnende Rücksiegelung des Hauptsiegels (d. h. Besiegelung der Rückseite des an der Urkunde angebrachten Siegels) entwickelte sich weiterhin unter Heinrich VII. dahin, daß ein rückwärtssehender Adler (I, Taf. 47, 2), mit der Umschrift: Juste iudicate fili hominum, als Bild für das Rücksiegel des Majestätssiegels geschaffen wurde, unter Ludwig IV. wohl nach einer antiken römischen Vorlage geschnitten (I, Taf. 51, 2). Mit charakteristischer Prägnanz, die nur einer hochentwickelten Kunst eigen sein kann[2], wird der Adler in momentaner Bewegung des Kopfes nach rückwärts dargestellt und in Urkunden als „widersehender Adler“ bezeichnet: der römische Adler, ein natürlicher, dem römischen Legionsadler nachgebildeter, der nicht dem heraldisch umgebildeten deutschen Königsadler der Sekrete gleicht.

Aushilfsweise, im Notfalle wird dieses Rücksiegel unter Ludwig IV. auch an Stelle des Sekrets eine Zeit lang (1337 Aug. 22 bis 1343 Juli 12) verwendet, ohne daß die ungewöhnliche Besiegelung in der Corroboratio sonst immer entschuldigt wird, ja es wird bezeichnet als „unser kaiserliches insigel“. Dazu hat es auch vereinzelt unter Karl IV. gedient[3].

Diesen Rücksiegeltypus behielten auch Günther von Schwarzburg (II, Taf. 6, 3)[4], in Nachahmung des ludwigschen Siegels, und Karl IV. als Kaiser (II, Taf. 3, 5) bei, während Wenzel als deutscher König sich seines Rücksiegels bediente, das er schon als böhmischer König geführt hatte (II, Taf. 7, 3. 4). Weder Karl IV., noch sein Sohn Sigismund, noch Ruprecht und Albrecht II., als Könige, führten Rücksiegel, und Sigismund ließ als Kaiser das Rücksiegel in gleicher Größe mit der Vorderseite als Doppel-(Münz-)siegel, also in veränderter Gestalt, ausführen (II, Taf. 17, 2), wie es auch unter Friedrich III. betreffs Königs- und Kaisersiegel geblieben ist (II, Taf. 23, 2; 25, 2).

Es sind nunmehr außer der Goldbulle in Gebrauch:

1. Das Thronsiegel (sigillum majestatis, kaiserliches Insiegel)[5]. Während in den Diplomen des Kaisers Ludwigs IV. unter dem kaiserlichen Insiegel immer das Majestätssiegel verstanden wurde, wird seit Friedrich III. das Thronsiegel stets ausdrücklich Majestätssiegel genannt.

2. Das Sekret, in den Siegelformeln meist „unser königliches (kaiserliches) insiegel“ schlechtweg genannt, in der Umschrift als „secretum“ bezeichnet. Das Bild


auch die genannte Urkunde besiegelt. Als selbständiges Sekret ist aber auch dieses Siegel niemals benutzt worden, sondern ebenso, wie unter Rudolf I. (I, Taf. 40, 6) als Ersatz für die früher beliebten Fingereindrücke auf der Rückseite des Siegels.

  1. Erben a. O. 1, 274.
  2. Haberditzl a. O. 649.
  3. BR Reg. Ludw. IV. 1055, 1337 Aug. 22: geben zu Babenberg am freytag vor Bartholomei unter dem widersehenden Adler besiegelt (I, Taf. 51, 2), wenn wir unser sekret bei uns in diesen zeiten nicht haben. – 1337 Okt. 16 (Mon. boica 6, 592): mit unsern widersehenden adler besigelt. – 1338 Jan. 13 (Böhmer, Acta imperii, S. 526, No. 778): geben … under unserm widersehenden adler. – 1339 Sept. 18 (Sickel und Sybel, Kaiserurk. in Abb., S. 333, IX, 24), – 1340 Sept. 8 (Or. Marburg Fuld. Kaiserurk. Stiftsarchiv 99). In der Siegelformel bezeichnet: „mit unserm kaiserlichem insigel“. – 1360 Juli 8 (Glafey, Collectio archiv. 237, Anm. 146): under cleynen insigel mit dem widersehenden adelar, wennschon diese Worte in der Eintragung in Karls IV. Register durchstrichen und durch „sub sigillo magestatis“ ersetzt sind. Lindner a. O 54. – Gritzner a. O. 87 und 97. – Schaus, Zur Diplomatik Ludwigs des Bayern, S. 4. – Haberditzl a. O. 649.
  4. Friedrich der Schöne führte kein Rücksiegel (II, Taf. 53, 6), es ist, wie Haberditzl a. O. 659 annimmt, eine Verfälschung des Rücksiegels von Ludwig IV. in Gipsabdruck. Der Abdruck wurde von Römer-Büchner in Frankfurt a. M. ohne nähere Daten mitgeteilt.
  5. Zur Verwendung kam neben dem größeren Thronsiegel ein diesem nachgestochenes kleineres unter Adolf (I, Taf. 43, 3). Hingegen sind Heinrichs VII. (II, Taf. 51, 2) und Karls IV. kleinere Thronsiegel moderne Fälschungen (II, Taf. 51, 4).
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0174.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)