Seite:Posse Band 5 0180.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

und Ludwig dem Frommen auf, zu einer Zeit also, da die Bulle noch keine Verwendung dafür fand, dann erst wieder nach ihrer tatsächlichen Einführung unter Ludwig II. (I, Taf. 2, 2) und mit mancherlei Änderungen unter Karl III. (I, Taf. 4, 2–5). Die Besiegelung mit Bulle oder Wachssiegel binde sich aber nicht an die Ankündigung der bulla oder des anulus, es fänden sich mit Bullen besiegelte Diplome, in denen die anuli impressio angekündigt werde, wie umgekehrt. Mühlbacher ging wie Sickel von derselben falschen Voraussetzung aus, daß Metallsiegel in der Kanzlei der Karolinger erst seit Ludwig II. nachweisbar sind.

Die neueren Forschungen von Giry, Grandmaison und Breßlau[1] haben dagegen erwiesen, daß wir den tatsächlichen Gebrauch von Bullen und insbesondere von Goldbullen in der karolingischen Kanzlei mindestens seit der Kaiserkrönung Karls des Großen mit Sicherheit annehmen dürfen, und daß auch Otto I. und II. Goldbullen angehängt haben.

Von Ostrom hat Karl der Große die Metallsiegel übernommen und ihre Verwendung diesseits der Alpen gefördert. Ob er bereits als König mit Metall gesiegelt, bleibt zweifelhaft. Für die Einführung einer solchen Neuerung, bemerkt Eitel, wäre jedenfalls die Kaiserkrönung der gegebene Moment gewesen; vorher lag kein Anlaß vor, mit dem von den Vorgängern übernommenen Brauche zu brechen. Nach seiner Krönung aber nahm Karl die dem Kaiser eigentümlichen Vorrechte für sich in Anspruch, und zu diesen gehörte die Sitte, mit Metall bez. mit Gold zu siegeln[2].

Die Goldbulle Karls des Großen ist uns nur bezeugt, eine solche Ludwigs des Frommen nur in Abbildung erhalten, dagegen sind uns Bleibullen erhalten zuerst seit Ludwig II. (I, Taf. 2, 2. 3) und von den ostfränkischen Nachfolgern Ludwigs des Frommen Karl III. und Arnulf (I, Taf. 4, 2–5; 5, 5. 6), von beiden als Kaisern. Breßlau möchte daraus schließen, daß man in Deutschland die Verwendung von Bullen als ein Vorrecht des gekrönten Kaisers betrachtete, während in Westfranken Karl der Kahle unbedenklich schon als König einzelne Urkunden bullieren ließ[3].

In späteren Jahrhunderten war es kein Vorrecht des gekrönten Kaisers, wie die Königsgoldbullen Heinrichs III. und IV., Friedrichs I. und II., Heinrichs (VII.), Heinrich Raspes, Rudolfs I., Heinrichs VII., Ludwigs IV., Karls IV. und Sigismunds erkennen lassen.

Unter Otto III. verdrängt seit 998, von wo ab sich der Kaiser bis zu seinem Tode (1002) in Italien aufhielt, die Bleibulle das Wachssiegel gänzlich.

Nachdem Otto III. in den ersten zwei Jahren nach der Kaiserkrönung mindestens drei Typen des Wachssiegels in raschem Wechsel aufeinander hatte folgen lassen, entschied er sich hier, wo die Bleisiegelung in der königlichen und päpstlichen Kanzlei üblich war, für die noch einschneidendere Neuerung der Einführung des Metallsiegels. In gleich raschem Tempo verdrängte eine Bulle die andere. Wohl nicht Abnutzung der Stempel gaben hierzu die Veranlassung, sondern diese ist wohl auch hier auf die Vorliebe Ottos III. und seiner Umgebung für Neuerungen als auf den letzten Grund der sich überstürzenden Erscheinungen zurückzuführen. Die Äußerung derselben hatte sich einst, soweit es sich um Diplome handelte, darauf beschränkt, das Handmal bald so und bald so auszuschmücken. In der kaiserlichen Zeit wurde die Neigung des Herrschers nicht allein nicht gezügelt, sondern eher durch Entgegenkommen des Kanzleipersonals gefördert, so daß nach und nach fast alles in Fluß geriet. Ob wir die Urkunden Ottos III. in ihrem ganzen Umfange, oder ob wir einzelne Merkmale derselben, wie hier die Siegel, ins Auge fassen, immer sehen wir, daß sich die Wandlungen in der gleichen Richtung und in ziemlich gleicher Abstufung vollziehen[4].

In der Kanzlei von Ottos III. Nachfolger, Heinrichs II., ist dann wieder die Wachssiegelung zur Geltung gelangt und die Bleisiegelung nur in beschränktem Maße, mehr für italienische als deutsche Empfänger, zur Anwendung gekommen (I, Taf. 11, 4–7; IV, Taf. 73, 7. 8)[5]. Auch Konrad II. hat mit Blei gesiegelt (I, Taf. 13, 5–8). Aber seit Heinrich III., von dem Königs- und Kaisergoldbullen bezeugt sind, scheint die Bleibulle außer Gebrauch gekommen zu sein, erst unter Alfons von Kastilien begegnen wir wieder der Bleisiegelung (I, Taf. 38, 3. 4; 39, 1. 2), doch ist sie bis jetzt nur für die Zeit vor seiner Wahl zum römischen König, also für seine heimatlichen Urkunden, nachzuweisen.

Anstatt des Bleies ist die Bullierung mit Gold seit Karl dem Großen durch alle Jahrhunderte beliebt gewesen. Wie seine Vorfahren Otto I. und II. hat auch Otto III., nach glaubhafter Überlieferung, Gold verwendet;


  1. Giry, Manuel de diplomatique 634 Anm. 3, 635. 720. Grandmaison in Mélanges Julien Havet 111. Breßlau in Brandi, Archiv für Urkundenforsch. 1, 355f.
  2. Eitel a. O. 75. Vgl. S. 5, 152 und 180 Anm. 2.
  3. Brandi, Archiv f. Urkundenforsch. 1, 369.
  4. Mon. Germ. DD Otto III. S. 392b. Es ist charakteristisch, daß seit der Verdrängung des Wachssiegels, anfangs zwar bis 31. Juli 999 (St. 1193) noch der Bulle als einer besonderen Siegelart von den Urkunden Ottos III. in der Siegelformel gedacht wird. So St. 1169, St. 1170, 1176, (sigillum plumbeum), 1199, 1277 (bulla, bullari), St. 1171 (plumbea impressio). Die Siegelformel bezeichnet dann weiterhin die Bulle und Bullierung mit dem einfachen sigillum, sigillare. Nach dem 2. Mai 998 (St. 1155b) liegt kein Beleg für Ausstattung der Diplome mit Wachssiegeln mehr vor. Sie wurden fortan ganz von den Bleibullen verdrängt, die, bereits während des zweiten Aufenthalts in Rom aufgetaucht, in der Folge so sehr als Erfordernis galten, daß man, wie St. 1079 vom Jahre 996 Mai 31 zeigt, auch ursprünglich aufgedrückte Wachssiegel entfernte und durch Metallsiegel ersetzte. Vgl. S. 165.
  5. N. Archiv 3, 25. Von deutschen Empfängern ist die Bulle nur gewissen bevorzugten Bistümern erteilt, wie Bamberg (2 Originale erhalten), Paderborn (5), Würzburg (2), Straßburg (1) oder Nonnenklöstern, die mit dem Kaiserhause in Beziehung standen, wie Essen (2), Gandersheim (1), Göß (1). Unter Heinrich III. fand eine derartige Bevorzugung der Italiener vor den Deutschen nicht mehr statt. Steindorff, Jahrbücher 2, 379.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0180.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)