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eingeleibten Länder, desgleichen in das Reich, was zur Krone gehört (Lehenbriefe für die zur böhmischen Krone gehörigen Lehen im deutschen Reiche) von anderswo als der böhmischen Kanzlei unter dem Insiegel eines Königs zu Böhmen auszugehen nicht verschaffen oder zulassen, also wie es von rechtswegen sein soll“[1].

Nur das eine Zugeständnis erreichte Ferdinand, daß er zur Verwaltung der königlichen Einkünfte eine böhmische Kammer mit Leuten seiner Wahl einrichten und durch deren Kanzlei alle das Kammerwesen anlangenden Entschließungen solle ausgehen lassen können. Nach der Kammerinstruktion von 1526 März 25 war die böhmische Kammer sogar berechtigt, Majestätsbriefe zu verfassen, die von zwei Kammerräten und dem Kanzleisekretär zu fertigen und zur Einholung der Unterschrift des Königs und Anhängung des großen Siegels, das sich damals offenbar in der Verwahrung des Königs befand, an den Hof zu schicken waren.

Entgegen dieser Verfügung gelang es im Jahre 1530 den böhmischen Ständen, eine königliche Verordnung zu ertrotzen, daß die auf Pergament geschriebenen Majestätsbriefe, auch wenn sie das Kammerregale beträfen, erst dem König zur Unterschrift zuzuschicken, dann aber dem obersten Kanzler vorzulegen wären, damit dieser sie mit dem königlichen Siegel versehe und unterschreibe. Im Jahre 1530 war also das Majestätssiegel bereits wieder in der Obhut des obersten Kanzlers, der seinen Amtssitz auf der prager Burg hatte, während die Kammer das Sekretsiegel führte. In welchem Falle Majestätsbriefe ausgegeben wurden, läßt sich schwer sagen. In den folgenden Jahren scheinen aber solche Majestätsbriefe wieder aus der königlichen Kammer in Prag ohne die Unterschrift des Kanzlers und unter dem von der Kammer verwahrten kleinen (Sekret-)Siegel ausgegeben worden zu sein.

Durch einen vom König genehmigten Landtagsbeschluß wurde dann 1541 angeordnet: weil Majestätsbriefe aus der Kanzlei des böhmischen Königreichs von altersher immer unter dem Siegel ausgegangen seien, das der oberste Kanzler des Königreichs in Verwahrung habe, und auch in Hinkunft kein anderes Siegel tragen sollten, so solle dieser Kanzler wie alle übrigen auch die in der Kammer Seiner Majestät geschriebenen Majestätsbriefe, falls sie Gültigkeit haben sollten, mit diesem Siegel besiegeln und wohl auch unterschreiben. Doch wurde in demselben Landtagsbeschlusse von 1541 stillschweigend zugestanden, daß minder wichtige königliche Verfügungen, die des Majestätssiegels nicht bedurften, auch ohne Kenntnisnahme des Kanzlers sollten erlassen werden können. Wo war aber die Grenze von ‚wichtig‘ und ‚minder wichtig‘? Da der böhmische oberste Kanzler damals gewöhnlich nicht am königlichen Hoflager, das seinen Aufenthalt oft wechselte, sondern meist auf der prager Burg weilte, so mögen, da er doch allein berechtigt sein sollte, das Majestätssiegel zu führen, oft bedeutende Verzögerungen in der Ausstellung der königlichen Briefe eingetreten sein, denn es ist doch wahrscheinlich, daß der böhmische Kanzler, wenn er das Hoflager aufsuchte, auch das königliche Siegel mit sich führte, und so auch Majestätsbriefe am Hofe ausgestellt werden konnten.

Da Ferdinand nur selten in Prag residierte, von wo aus nach den am Wahllandtage von 1526 geäußerten Anschauungen das Königreich regiert werden sollte, so traf er Vorsorge für die Erledigung böhmischer Geschäftsstücke bei Hofe. Er hielt zwar böhmische Sekretäre an diesem, ordnete sie aber dem Vorstande der Hofkanzlei unter, was jedoch nicht lange dauerte. Aus der Kanzleiabteilung am Hoflager bildeten sich dann wieder zwei Unterabteilungen heraus, eine für die böhmischen und die andere für die deutschen Geschäftsstücke; an ihrer Spitze je ein Vizekanzler. Die beiden Vizekanzler sollten alle aus den böhmischen Ländern an den König eingehenden Sachen für ihn bearbeiten und der Erledigung zuführen. Diejenigen Expeditionen, die nur unter dem Sekretsiegel erlassen wurden, konnten sofort anstandslos an die Parteien ausgefolgt werden, jene, die des Majestätssiegels bedurften, mußten, wenn der Kanzler dem Hofe fern war, bis zu seiner Ankunft liegen bleiben. Die Spaltung der böhmischen Kanzleiabteilung bei Hofe in eine böhmische und deutsche Unterabteilung war ein ganz natürlicher Vorgang, da aus einem Teile Böhmens, besonders aber aus Schlesien und den Lausitzen deutsche Eingaben an den König gelangten, die auch in deutscher Sprache beschieden wurden, und da ferner viele Lehen der böhmischen Krone an deutsche Fürsten und andere Standespersonen vergeben wurden, die die Lehenbriefe in deutscher Ausfertigung erhielten. Die vorherrschende Sprache war aber in der böhmischen Kanzlei die tschechische.

Bildeten den Rat des Königs somit gewöhnlich die obersten Landesoffiziere, zu denen auch der oberste Kanzler (supremus regni Bohemiae cancellarius) gehörte, so hatte die königliche Kanzlei lediglich die Bestimmung, die Aufträge des Königs und die von ihm gebilligten Ratsbeschlüsse auszufertigen; sie war zunächst so wenig eine Behörde, wie die österreichische Kanzlei. Und hier wie dort die gleiche Erscheinung, daß der Wirkungskreis der Kanzlei sich in der habsburgischen Zeit mehr und mehr ausdehnte. Für jene frühe Zeit (vor 1627) läßt er sich dahin umschreiben, daß alle Geschäftsstücke, die aus den Ländern der böhmischen Krone zum König gelangten, in der böhmischen Kanzlei ihre Erledigung finden sollten. Auch wurden von ihr die Landtagspropositionen nicht allein für Böhmen, sondern auch für Mähren und


  1. Gleichwohl traf Ferdinand, als er der Huldigung halber in Mähren weilte, die Bestimmung, es solle bezüglich der Ausstellung der Majestätsbriefe für Mähren seinem Ermessen überlassen bleiben, aus welcher Kanzlei er diese Briefe erlassen wolle. Aber man nimmt nicht wahr, daß in der Folgezeit danach vorgegangen wäre. Majestätsbriefe, Bestätigungen und andere Urkunden wurden für Böhmen und seine Nebenländer auch weiterhin in der böhmischen Kanzlei ausgestellt.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0187.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)