Seite:Prozeßwütige bulgarische Bauern.pdf/4

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Prozeßwütige bulgarische Bauern. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 222–224

daß dieser die Stempelmarke von dem Bogen ablöst und so die acht Lev für sich ‚gespart‘ hat, ahnt der Ärmste nicht.

Drei Wochen vergehen. Der Bauer wird ungeduldig und begibt sich bei Gelegenheit zu seinem Rechtsbeistand. Er habe noch immer keinen Bescheid erhalten. Dann sei die Antwort verloren gegangen. Man müsse noch einmal und noch ausführlicher schreiben.

Wieder zahlt der Bauer seine dreizehn Lev wie das erste Mal. Dasselbe Spiel wiederholt sich. Die Stempelmarke wird wieder ‚gespart‘.

Nach weiteren zwei Wochen erscheint der Herr Rechtsbeistand, der den weiten Weg nicht gescheut hat, bei dem Bauern und teilt ihm mit, daß das Gericht den Vorschlag mache, die Parteien sollten sich im guten einigen, zeigt ihm auch irgend ein amtliches Schreiben vor, so daß der Geprellte abermals auf den Leim geht. Der Redegewandtheit des ‚Advokaten‘ gelingt es denn auch nach einiger Zeit, einen Vergleich herbeizuführen, wofür weitere dreißig Lev in Rechnung gesetzt werden. So kostet dem Bauern die Geschichte sechsundfünfzig Lev, die er eigentlich für nichts ausgegeben hat. Denn wäre er verständig gewesen, und hätte er sich sofort an den Gemeindevorstand mit einem Vergleichsvorschlag gewandt, so würde die Sache genau so ausgelaufen sein. Aber dieser einfachste Weg hätte sich nie und nimmer mit der Ehre eines bulgarischen Bauern vertragen.

Zwei Nachbarn, bis dahin die besten Freunde, prozessieren um ein Stück Land. Endlich gewinnt Lokitsch endgültig. Sein Gegner ist inzwischen infolge von Mißernten und Viehseuchen völlig verarmt. Was tut jetzt Lokitsch? Er schenkt dem früheren Freunde das Streitobjekt und leiht ihm außerdem noch eine größere Summe, damit jener sich wieder emporarbeiten kann. Er hat ja den Prozeß gewonnen. Nur daran liegt ihm etwas, an dem Acker gar nichts. Die Nachbarn werden wieder gute Freunde, und die Advokaten haben ihre zweitausend Lev bei dem Rechtsstreit verdient.“

W. K.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Prozeßwütige bulgarische Bauern. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 222–224. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proze%C3%9Fw%C3%BCtige_bulgarische_Bauern.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)