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 XV

O Brunnen-Mund, du gebender, du Mund,
der unerschöpflich Eines, Reines, spricht, –
du, vor des Wassers fließendem Gesicht,
marmorne Maske. Und im Hintergrund

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der Aquädukte Herkunft. Weither an

Gräbern vorbei, vom Hang des Apennins
tragen sie dir dein Sagen zu, das dann
am schwarzen Altern deines Kinns

vorüberfällt in das Gefäß davor.

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Dies ist das schlafend hingelegte Ohr,

das Marmorohr, in das du immer sprichst.

Ein Ohr der Erde. Nur mit sich allein
redet sie also. Schiebt ein Krug sich ein,
so scheint es ihr, daß du sie unterbrichst.


Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Die Sonette an Orpheus. Insel-Verlag, Leipzig 1923, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rilke_Die_Sonette_an_Orpheus_1923.djvu/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)