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Menschen überhaupt aus Freiheit und Nothwendigkeit zusammengesetzt ist, so geht auch das der feindlichen Brüder wie ihrer unglückseligen Mutter mindestens ebenso sehr aus der Masslosigkeit, der unbegrenzten Leidenschaftlichkeit ihres Charakters hervor, und die äussern Anlässe, das Verhängniss gibt blos den Anstoss zu dem, was innerlich schon fertig ist und früher oder später wenigstens ähnlich eintreten müsste. Das Schicksal thut im Grunde nichts, als was der Chor ausspricht, wenn er sagt:

Ja, es hat nicht gut begonnen,
Glaubt mir, und es endet nicht gut;
Denn gebüsst wird unter der Sonnen
Jede That der verblendeten Wuth.

Man hat vielleicht die Quelle jenes Misverständnisses, das Schiller’s Nachahmer durchweg beherrscht, vorzugsweise in der Gestalt der Beatrice zu suchen, deren Lebensglück trotz ihrer anscheinenden Schuldlosigkeit aufs furchtbarste zerstört wird, dem biblischen Spruche gemäss, dass die Sünde der Aeltern an den Kindern gestraft werde bis ins zehnte Glied. Diese Sünde besteht hier nächst dem am eigenen Vater begangenen Raub der Isabella, dem fluchbeladenen Ursprung alles Unglücks, in der Herzlosigkeit, mit der der Räuber der Mutter einem finstern Aberglauben sein eigenes Kind opfert. Fast ebenso gross ist die Härte jener, die erst den Gatten betrügt und sich dann doch ihres Kindes eine Reihe von Jahren lang kaum mehr weiter annimmt, selbst drei Monate nach jenes Tod noch desselben vergisst. Führt dies allerdings das Schicksal herbei, so hat doch der Dichter dafür gesorgt, auch in Beatrice, sowenig er sonst diese Gestalt individualisirt hat, die Tochter ihrer Mutter zu zeigen, indem sie sich doppelten Ungehorsams schuldig macht, sich aus dem Kloster entführen lässt, also mit derselben Blindheit der Leidenschaft der Erkennung ihrer Mutter aus dem Wege geht, und vorher schon, dem Gebot derselben wie des Geliebten entgegen, dem Begräbniss des unbekannten Vaters beiwohnt, also immerhin eine Schuld auf sich ladet. Das Rührende und Tragische liegt dann allerdings in der durch die Verkettung der Umstände herbeigeführten

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/331&oldid=- (Version vom 1.8.2018)