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seiner Bewohner Frankreich näher liege, als den protestantischen Generalstaaten Hollands? Legte er damals schon den Grund zu dieser nie erkalteten Opposition auf Tod und Leben, von der katholischen Geistlichkeit den Holländern entgegengestellt, zu diesem Haß, welcher zwar spät, aber doch endlich Niederland in zwei Hälften riß? Sicherlich aber wollte er sich der Rheinlande und des Niederlands zur Unterstützung Frankreichs gegen Englands und des deutschen Kaisers Macht versichern. Mazarin war gewohnt, wenn er vom Elsaß und Lothringen, wenn er vom linken Rheinufer und Belgien sprach, zu sagen: „Des Königs zukünftige Krongüter“ und wahrlich hat sich Louis XIV. bestrebt, dies Wort, so weit möglich, wahr zu machen.

Mazarin war diesmal in größter Stille von Vincennes hier angelangt und bei den Vätern Jesu abgestiegen. Derjenige, welcher vor ihm stand, ein Mann von höchstens dreißig Jahren, hatte schon vor eilf Jahren, als Secretair des Gesandten Frankreichs in Osnabrück und Münster ausgezeichnete Dienste geleistet. Jetzt war er Rector des Collegiums.

Pater Drucy stand vor dem Cardinal in zwangloser Haltung. Er sah, während Mazarins Gesicht fast schmerzlich bewegt schien, so durchaus ruhig aus, wie ein Erzbild.

– Darf ich weiter hören, Eure Eminenz? fragte er mit klarster, kalter Stimme, die Hände in seine weiten Aermel schiebend.

– Ja, mein Sohn! Dies England darf sich nicht erheben; ich sag’s Dir! sagte der Cardinal mit weicher, sanfter Stimme. Die alte Politik des großen Richelieu, diejenige, welche ich mit schwachen Kräften zu verfolgen mich bemühte, diese Politik der feinen Welt, sie wird bald zu Ende sein. Die Interessen der Regierungen werden offener hervortreten; die Kunst des unterhandelnden Staatsmannes wird vor den offenbaren Forderungen, vor der unversteckten Verfolgung der Interessen der mächtigen Fürstenhäuser Europas erbleichen . . . Es ist betrübt, Drucy, sehr betrübt. Wir werden überflüssig. – Er lächelte ironisch. – Corpo de Gésu, wir werden bald unser Creditiv dort oben überreichen, aber Frankreich und sein königliches Kind sollen erfahren, daß ein schwacher, unbedeutender Mann der alten Schule dennoch Einiges vorauszusehen gelernt hat, obwohl er – Gott behüte uns vor Lästerung – nicht die Ehre hat, ein Prophet zu sein.

Der Jesuit verbeugte sich leicht und zuckte fast unmerklich die Achsel. Es war auch einer von der alten, sehr alten Schule, deren erste bekannte Lehrerin die Schlange war, welche Eva im Paradiese verführte. Er schien längst begriffen zu haben.

– England! England! murmelte Mazarin. Wie wirst Du dereinst mein schönes Frankreich beugen und demüthigen, wenn Frankreich Dich nicht zeitig niederhält. Cromwell ist fort, Englands Richelieu gestorben und die kaum fünf Jahr gebändigte Anarchie erhebt wieder wüthend ihr Haupt. Die Stuarts sollen zurückgerufen werden; Karl II., Prätendent, schickt sich an, den Fuß auf Englands Boden zu setzen. Die Parteien werden sich einigen, um zuerst diesem Charakterlosen gegenüber die Macht der neuen Krone zu brechen. Das Volk, diese klarberechnende, tüchtige Nation wird herrschen, sie wird stark, unerhört stark werden und Frankreich wird die Gesetze seiner Politik einst von jenseit des Canals empfangen.

– Ich verstehe! sagte der Jesuit. Karl Stuart ist hier in Brüssel, sammt seinem Miniatur-Hofe.

Die beiden furchtbaren Priester sahen sich eine ganze Weile starr und schweigend an.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/205&oldid=- (Version vom 1.8.2018)