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sonderbar genug, nach der Cabbala: „stumme Liebe“ bedeutet. Wir sind fern von Italien, Altezza, daher sage ich Euch, daß ich in der Nummer sechsunddreißig von Buona Solasso den einzigen Sohn meines Freundes, des Marchese Luigi di Ricci beklage; beklage, obgleich ich Gesandter und Freund der Brüder von Latrappe bin.

Die Kurfürstin entließ den Italiener rasch, um sich einer ebenso ungewöhnlichen als heftigen Gemüthsbewegung[WS 1] hinzugeben. Ihre erste Jugend und – kaum wagte sie zu denken, was sie mit Allgewalt empfand – ihre erste jungfräuliche Liebe hatte sich hier, fern von der blühenden Heimath, ihrer bemächtigt in einem Augenblicke. Sie versank, dem Kurfürsten gegenüber, in tiefe Schwermuth. Gabriel Ricci! Der Name, der fast vergessene Name, brannte in ihrem Herzen mit Flammenschrift. Er, der schönste, tapferste Jüngling von Toscana, hatte einst den Glanz seines prächtigen Auges zu der Tochter seines Fürsten zu erheben gewagt und Anna Maria Luisa’s Herz war ihm in Thränen des Entzückens der Liebe entgegengeflossen. „Da kam das Schicksal rauh und kalt“ – wie Schiller tiefdüster singt. Es kam als der männliche, schöne, braungelockte Kurfürst von der Pfalz, und der schwarzäugige Italiener, der dreiundzwanzigjährige Geliebte mußte vor dem ebenbürtigen zweiunddreißigjährigen deutschen Freier auf ewig im Tode eines Trappisten verstummen.

Maria von Medici liebte ihren Gatten mit zärtlicher Neigung; aber er war ihr irdischer Gott. Das göttliche Ideal, welches gleichviel früh oder spät in der Brust des Menschen aufgeht, und zwar nur ein Mal, war aber emporgestiegen, Alles neben sich verdrängend, und diese Gestalt glich Gabriel di Ricci; – er war es selbst. Die alte Liebe wurde durch das schmerzliche Heimweh, an welchem die Florentinerin schon länger litt, so sehr verstärkt und in die Gegenwart gezogen, daß nach wenigen Tagen die Kurfürstin sich selbst nicht mehr erkannte. Der Fra Giuseppe hatte ein ganz neues Wesen aus ihr gemacht.

Eben in dieser Zeit hatte der Kurfürst, mit seinen eignen Verlegenheiten beschäftigt, wenig Zeit und Laune, seiner Gemahlin Aufmerksamkeiten zu erweisen. Er vernachlässigte sie bei seinem Verkehr mit Juden und Wechslern fast vollständig. Maria dankte dem Himmel dafür. Sie gab vor, Andachtsübungen obzuliegen und verschloß sich in ihre Zimmer. Damals ließ sie ihren silberfalben Zelter satteln und ritt zur Stadt hinaus. Was wollte sie? Sie fand sich unwillkürlich immer auf demselben Wege und endlich vor den finstern Pforten des Trappistenklosters. Sie hatte eine Ahnung, es täuschte sie schmerzlich süß, wenn sie wähnte, dies sei Buona Solasso bei Fiorenze, eine Täuschung, welche die nächste Umgebung mitleidig unterstützte. Nie und nimmer wohl hätte sich dieser Zustand der Kurfürstin bemächtigen mögen, hätte sie den Gegenstand ihrer Leidenschaft in ihrer Nähe gewußt. So aber; es war ja kaum mehr als eine Todtenfeier für den zu Grabe gegangenen Frühling ihrer Gefühle. Eben aber, weil Maria von Medici sich in dieser Hinsicht sicher glaubte, ließ sie ihren Empfindungen, die sie unter anderen Umständen aufs strengste bewacht haben würde, widerstandslos den Zügel und verstrickte sich in die Regionen einer Phantasiewelt, welche zu reizend waren, als daß aus ihnen die liebende Träumerin zur nüchternen Wirklichkeit hätte zurückkehren mögen.

Bisher hatte sie nicht gewagt, den Fra Giuseppe, welcher im Jesuitencollegium gastliche Aufnahme gefunden, wieder zu sich zu bescheiden. Sein Blick war so eigenthümlich gewesen, als hätte er auf dem tiefsten Grunde ihrer Seele zu lesen vermocht. Er war inzwischen oft am

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Grmüthsbewegung
Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/249&oldid=- (Version vom 1.8.2018)